Obwohl der Zug schon vor ziemlich vielen Jahren abgefahren ist, sagt die Show ziemlich deutlich und immer up-to-date, wie es ums Land bestellt ist:
Einerseits bietet sie eine Vielfalt an abseitigen «Identitäten», die – in dieser Intensität und in dieser Häufung – nirgendwo sonst vorkommen: Ich war im Gefängnis, ich bin chronisch krank, ich habe meine Berufsausbildung abgebrochen, ich spreche Dialekt, meine Eltern haben mich regelmäßig verprügelt, ich bin das weiße Schönheitsideal, ich ertrage die Witze von Dieter Bohlen, ich bin metrosexuell, ich bin trans, ich bin Rom, ich bin magersüchtig, ich bin ostdeutsch, ich bin Schwarz, ich bin schwul, ich bin fett, meine Brüste sind gemacht, ich bin ein schriller Vogel, ich bin minderjährig…
Der Preis für die Existenz im Hauptprogramm von RTL zur Hauptsendezeit ist
a) die vollkommene In-Wert-Setzung und der Verkauf dessen, was du «bist»;
b) das Akzeptieren des Naturgesetzes, dass von Woche zu Woche welche ausscheiden, zurückbleiben und vergessen werden: die, die es – leider – nicht geschafft haben, ihre Ellenbogen ausreichend einzusetzen;
c) dass das Geschlechterverhältnis in der Jury – auch quasi ein Naturgesetz – bei 3:1 liegt.
Dieses Jahr neu (zumindest für mich neu): Dass ein ehemaliger Kandidat es zum Jury-Mitglied schafft – und also nicht nur beim Spiel mitmachen darf, sondern seine Regeln mitbestimmt. Quasi der wahrgewordene sozialdemokratische Aufstiegsoptimismus, gepaart mit der liberalen Leistung, die sich endlich einmal lohnt. So etwas wie der Kapitalismus also, der ganz zu sich gekommen ist. Wenn diese Entwicklung sich fortsetzt – und es steht zu befürchten –, wird das in sehr unseligen Verwertungsketten resultieren.
Das macht mich traurig.