Die meisten Leute mit Farbenfehlsichtigkeit, die ich kennengelernt habe, sagten von sich zum Beispiel: «Ich habe eine Rot-Grün-(Seh-)Schwäche». Wenn sie überhaupt davon sprachen. Diejenigen, die von sich sagten, sie seien «farbenblind» meinten demgegenüber nicht, dass sie gar keine Farben, sondern nur Kontraste (hell/dunkel) sehen, sondern dass sie meinen, an Menschen keine «Farbe» zu sehen. «An Menschen» meint hier nicht die Kleidung, das Haar oder die Augen von Menschen, sondern «die Haut».
Nun hat das selbstredend nichts mit den Krankheitsbildern der Achromatopsie oder Achromasie zu tun (die ohnehin sehr selten vorkommen), sondern mit dem Umstand, dass damit ausgedrückt werden soll: «Ich blende keine Farbe ein» – bzw.: «Ich kann Farbe ausblenden.» Beides natürlich sehr noble Entscheidungen und Aussagen über sich selbst.
Meine empirisch nicht belegbaren, also vollkommen irrelevanten Beobachtungen legen nah, dass das Nicht-Sehen(-Wollen) von Farbe (für Weiße) vor allem da gut funktioniert, wo besonders viele Weiße unter sich sind. Dieselben Personen gewinnen ihre Klar-Sichtigkeit, was Farben angeht, sofort wieder, wenn sie in einem Park voller Nicht-Weißer sitzen. Oder wenn sie in einem Fitnessstudio oder an einem Arbeitsplatz ohne weiße Mehrzahl Zeit verbringen, in der Schlange bei McDonald’s stehen, in dem Rauch-Raum einer Sauna sitzen, wo ausländische oder einheimische PoCs sitzen, oder im Bus M41 (spätestens Hermannplatz, Richtung Neukölln).
Okay, das ist natürlich eine vollkommen unzulässige Verallgemeinerung. Ich gebe es zu. Ich war noch nie in einem Fitnesssstudio und kann dazu nichts sagen. Und außerdem wird Fitnessstudio auch nicht mit viermal S geschrieben.