Ich würde gern wissen, woher der Berliner Innensenator seine Meinungen zum Thema Grundgesetz der BRD (und zu anderen Gesetzen der BRD) bezieht. Jetzt bin ich alles andere als ein Jurist – und das ist sicher für alle Beteiligten von Vorteil. Aber ich möchte dem «Genossen» trotzdem ein paar Dinge mit auf seinen Lebensweg geben. Offenbar ist weder in seiner Verwaltungsgliederung noch in seiner Partei oder der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus jemand anderes dazu in der Lage.
Andreas Geisel → wird zitiert mit dem Satz:
Unser Grundgesetz sagt, niemand darf bevorteilt oder benachteiligt werden aufgrund seiner Herkunft, seines Geschlechts, Ethnie, Sexualität.
Artikel 3 Grundgesetz sagt nichts von «Sexualität», aber das sei dem Senator geschenkt. Der Antidiskriminierungsartikel des Grundgesetzes wird seit reichlich anderthalb Jahrzehnten allerdings um ein Antidiskriminierungsgesetz – das Allgemeine Gleichbehandlungs-Gesetz – ergänzt, nachdem eine SPD-Justizministerin seine Einführung um Jahre verzögert hatte. [Huhu Brigitte Zypries!] In seinem dritten Paragraphen («Positive Maßnahmen») heißt es in dem Gesetz:
Ungeachtet der […] Gründe ist eine unterschiedliche Behandlung auch zulässig, wenn durch geeignete und angemessene Maßnahmen bestehende Nachteile wegen eines in § 1 genannten Grundes verhindert oder ausgeglichen werden sollen.
Die in § 1 genannten Gründe sind: «Rasse» oder «ethnische Herkunft», «Geschlecht», «Religion» oder «Weltanschauung», «Behinderung», «Alter» und «sexuelle Identität».
Wenn Berliner Landesgesetze für den öffentlichen Dienst – warum auch immer – es mit dem Grundgesetz und der Bundesgesetzgebung aufnehmen sollen, müsste der Berliner Innensenator gelegentlich mal erklären, ob das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz in seinen Augen grundgesetzwidrig ist oderwieoderwatt. Vielleicht kann ein interessiertes SPD-Mitglied oder ein Mitglied des sogenannten Journalismus ja mal nachfragen.
Das Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz gestattet in seinem § 5 («Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen; positive Maßnahmen») übrigens auch
eine Ungleichbehandlung […], wenn sie auf Grund eines hinreichenden sachlichen Grundes erfolgt. […] Eine Ungleichbehandlung ist auch gerechtfertigt, wenn durch geeignete und angemessene Maßnahmen bestehende Nachteile strukturell benachteiligter Personen […] verhindert oder ausgeglichen werden sollen (positive Maßnahmen).
Andreas Geisel sagt damit natürlich auch, dass die Situation, wie wir sie haben – max. 12% Repräsentation von über 35% der Bevölkerung –, niemanden «benachteilige» oder «bevorzuge», denn das wäre ja – ta taa – per Grundgesetz verboten. (Wer sich an Horst Seehofer erinnert – Rassismus verboten, daher bei der Polizei unmöglich –, kann was von den Ginkgo-Pillen an den Innensenator schicken, vielleicht erinnert er sich dann auch an die bizarre Gesellschaft, in die er sich damit begibt.)
Ferner wird Andreas Geisel zitiert mit der Aussage, «bei Frauen und Menschen mit Behinderungen habe man das durch Gesetze ergänzen können». Ein Blick ins AGG (und vor allem «sein» Landesantidiskriminierungsgesetz) würde ihm hoffentlich helfen, selbst zu erkennen, dass
a) seine Aufzählung unvollständig und
b) die Aussage falsch
ist, wenn er sagt:
Das sind aber harte Kriterien! Der Migrationshintergrund ist eine freiwillige Angabe – wir kommen da über eine Orientierungsgröße nicht hinaus.
Zum einen wäre es sehr interessant zu wissen, was der Innensenator mit «hart» meint. Die Wand, gegen die er gelaufen sein muss, kann es nicht sein. Die Daten zu «Geschlecht» werden im selben Mikrozensus erhoben wie diejenigen zu einem «Migrationshintergrund». Das Statistische Bundesamt wäre sicher sehr traurig, wenn es erführe, dass seine immerhin amtlichen Statistiken als «weiche» Informationsquellen angesehen werden. Vielleicht kennt der Innensenator ja weitere Quellen, die «hart» sind? Schrifttafeln aus dem pharaonischen Ägypten? (Warum auch immer «hart» besser sein sollte als «weich», aber das ist eine andere Debatte.)
Welchen Begriff der «Behinderung» legt Andreas Geisel zu Grunde? Es kann nicht diejenige sein, die seit der Unterschrift unter das → UN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vor über zehn Jahren Bundesrecht ist.
Schade, dass das der Innensenator von Berlin nicht weiß.
Schade, dass ihm offenbar niemand zur Seite steht bei seinen öffentlichen Äußerungen.
Zu der letzten Aussage von Andreas Geisel:
in den vergangenen Jahren seien viele Menschen nach Deutschland gekommen, die «in ihren Herkunftsländern nicht mit unseren Werten sozialisiert» worden seien. «Integration ist die Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben»,
fällt mir eine Menge ein. Aus Gründen der Pietät, des Strafrechts und der Uhrzeit (es ist nach Mitternacht) verzichte ich darauf, diese Sachen aufzuschreiben.
[Und das auch, ja: Eine Quote ist kein Allheilmittel für nichts. Wenn schlechtes Behördernhandeln von einer «diverseren» Belegschaft praktiziert wird, wird es nicht besser (siehe u.a. auch die vom Innensenator gelobte Polizei).]