Koray Yılmaz-Günay

«Andere Realitäten – gleiche Homophobie»

Lesbischsein und Schwulsein werden in der Schule nicht oft behandelt. Manchmal ist es der Biologie-Unterricht, in dem «so etwas » seinen Platz findet. Dabei ist Homosexualität – wie alles rund um Geschlechterrollen und Sexualität – ein Thema, das Jugendliche sehr stark interessiert. Tatsächlich denken aber noch immer die meisten jungen Schwulen und Lesben, dass sie die einzigen in ihrem Umfeld sind, wenn sie ihr Coming Out haben. Eine Berliner Studie («Sie liebt sie. Er liebt ihn.») kam zu dem Ergebnis, dass die Selbstmordraten unter diesen jungen Menschen bis zu viermal höher sind als bei heterosexuellen Altersgenossen. Es sind nicht nur, aber gerade auch die jungen homosexuellen Menschen, die bei ihren Familien «rausfliegen», und dann zu den hohen Zahlen von Lesben und Schwulen unter Obdachlosen führen. Auf dem Lehrstellen- und Arbeitsmarkt, bei der Wohnungssuche oder bei Behördengängen sieht es nicht anders aus: Es ist nach wie vor nicht einfach, homosexuell zu sein. Noch komplizierter wird es, wenn die jungen Frauen und Männer aufgrund ihres Namens, ihres Aussehens, ihrer Sprachkenntnisse oder anderer Merkmale als «nicht-deutsch» wahrgenommen werden. Homophobie mischt sich mit Rassismus, die Diskriminierungen überlappen und verstärken sich gegenseitig.

Wie auch in anderen Bereichen ist es aber vor allem die Gewalt auf der Straße, die es in die allgemeine Debatte und die Medien schafft. Zehn Fälle von körperlicher Gewalt gegen Lesben, Schwule und Transgender-Personen dokumentiert die Opferberatungsstelle ReachOut für 2008 in Berlin – wobei dies sicher nur die Spitze des Eisbergs ist. Obwohl nur drei der Fälle in klassischen «Einwanderer-Bezirken» Westberlins, die anderen aber im Osten der Stadt geschahen, beherrschten junge «arabische» und «türkische » Täter die Debatte in Berlin. Es scheint, dass öffentliche Aufmerksamkeit für Schwulen- und Lesbenfeindlichkeit vor allem dann aufkeimt, wenn die Täter als «Muslime» identifiziert werden können. Ganz offensichtlich ist jedenfalls bei der Motivsuche vor allem der (zugeschriebene) ethnische/religiöse Hintergrund von großem Interesse.

Die Frage, was «der Islam», der Koran und/oder der für zuständig erklärte Imam zu Homosexualität und Homosexuellen sagen, verdeckt jedoch viel wichtigere Fragen nach Alter, Geschlecht und Lebensrealitäten. In der Konsequenz wird homophobe Gewalt häufig als «migrantisches»/«muslimisches » Phänomen gedeutet – als hätten die Jugendlichen, über die man spricht, Einmachgläser von den Großeltern bekommen, aus denen Mitgebrachtes Stück um Stück herausgenommen würde. Dabei sind weder auf der Ebene von Einstellungspotenzialen noch auf der Ebene von verbaler oder körperlicher Gewalt kultur– oder religionsspezifische homophobe Einstellungen bei arabisch-, türkisch-, kurdisch-, bosnisch- oder albanisch-stämmigen Jugendlichen ausschlaggebend. Das gilt auch dann, wenn auf der Oberfläche benutzte «Argumente» auf solche Quellen für die Entstehung von Hass auf Homosexuelle hindeuten mögen.

Man kann aber mit Sicherheit davon ausgehen, dass diese Jugendlichen tatsächlich Gewalttätigkeit entwickeln, die auch an Lesben und Schwulen ausgelassen wird, wenn bestimmte Merkmale wie Alter, gesellschaftliche Schicht und eigene Diskriminierung zueinander kommen: So sind es in aller Regel erstens deklassierte, zweitens junge und drittens männliche Personen, die Lesben und Schwule auf der Straße beleidigen, beschimpfen und häufig genug auch körperlich angreifen. Nur in den seltensten Fällen geht lesben- und schwulenfeindliche körperliche Gewalt von anderen Gruppen aus. Zudem spricht die Berliner Polizei, die eigens Ansprechpartner/innen für Opfer von homosexuellenfeindlicher Gewalt benannt hat, mit Blick auf das klassische Täterprofil davon, dass entsprechende Straftaten in der Regel in der Nähe des Wohnortes des Täters begangen werden. Die Zusammensetzung der Täterschaft entspricht daher der jeweiligen Wohnbevölkerung. Dort also, wo viele Herkunftsdeutsche leben, sind es hauptsächlich herkunftsdeutsche Täter, dort wo mehr Migrant/innen wohnen, steigt der Anteil von Tätern mit Migrationshintergrund.

Eine Pädagogik, die lesben- und schwulenfeindlichen Einstellungen und der daraus resultierenden verbalen und körperlichen Gewalt begegnen will, muss daher der Komplexität unserer Gesellschaft gerecht werden. Das Phänomen muss zunächst definiert sein: Was genau ist Homophobie, wie äußert sie sich in meinem Stadtteil? Dabei sind lesbische Migrantinnen und schwule Migranten in der Bildungsarbeit wichtig, weil sie «hüben wie drüben» die selbst- und fremdzugeschriebene Homogenität der jeweiligen Gruppen (heterosexuelle Migrant/innen versus weiße, deutsche, christlich sozialisierte Lesben und Schwule) aufbrechen.

Und: Homophobe Einstellungen sind nicht angeboren, sie werden immer von Erwachsenen übernommen. Zwar mögen Kinder mit migrantischen Eltern dabei herkunfts- oder religionsspezifische Versatzstücke aufgreifen. Vor dem Hintergrund anderer Lebensrealitäten in Deutschland, zu denen nicht zuletzt eigene Diskriminierungserfahrungen zählen, muss man aber sehr viel genauer schauen, welche dieser Versatzstücke von Jugendlichen benutzt werden und vor allem warum.

Alters- und geschlechtsspezifische Ansätze zur Bearbeitung von Homophobie müssen sich daran orientieren, warum spezifische Äußerungen und Verhaltensweisen für ganz bestimmte Jugendliche attraktiv sind, denn weder alle herkunftsdeutschen noch alle migrantischen Jugendlichen sind homophob. Nur wenn nach der Funktionalität von Homophobie für den jugendlichen Identitätsaufbau gefragt wird, lassen sich Wege finden, diesen Einstellungen zu begegnen, ohne daran zu scheitern, dass sie kaum etwas mit den realen Erfahrungen der Jugendlichen hier in Deutschland zu tun haben.

Erschienen in Jugendkultur, Religion und Demokratie. Politische Bildung mit jungen Muslimen. Newsletter 11 von UFUQ.de vom 7. April 2009, Seiten 2–4.

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