Koray Yılmaz-Günay
Tugendterror

Liebe Berliner Verkehrsbetriebe, liebe BVG,

ich bin 191 cm groß und wiege fast 100 Kilo. Ich habe mit meinen 44 Jahren keine Angst vor deinem Fahrkartenkontrolleur, wenn er auf mich zuläuft und mich anschreit, ich solle mich nicht einmischen. Er ist zwar etwa zehn Jahre älter, dafür aber auch einen Kopf kürzer als ich.

Wenn ich deinen Fahrkartenkontrolleur auf einem wenig bevölkerten U-Bahnhof (U4, Innsbrucker Platz, ca. 11 Uhr am 20. September 2018) dabei sehe, wie er eine noch einmal um einen Kopf kürzere und (im Vergleich zu ihm) ca. 20 Jahre jüngere Frau mit Gewalt gegen eine Wand drückt, dann werde ich dazwischen gehen – egal, ob dein Fahrkartenkontrolleur oder seine Kollegin mir mitteilen, ich hätte kein Recht dazu und ich solle weggehen. Egal, ob sie denken, ich dürfe nicht dazwischen gehen, weil: «Sie wissen doch gar nicht, was vorher passiert ist.» Es ist mir vollkommen gleichgültig, was «vorher passiert» ist. Da es deinem Angestellten (bzw. dem von dir bezahlten Fahrkartenkontrolleur) möglich war, der jungen Frau nachzulaufen und sie bei den Armen zu packen und sie gegen die Wand zu drücken, kann das, was vorher «passiert war», so gravierend nicht gewesen sein. Und selbst, wenn es gravierend gewesen sein sollte, weil seine zarte Seele sehr stark darunter gelitten hat, erklärt das nicht sein Verhalten – geschweige denn, dass es sein Verhalten entschuldigte. Weder gegenüber der Frau, die ohne Fahrschein gefahren war oder fahren wollte, noch mir gegenüber. Er verbringt ganz offensichtlich nicht seine Freizeit im U-Bahnhof Innsbrucker Platz, mittags, unterirdisch, sondern er arbeitet dort. Und dafür könnte es den einen oder anderen Standard geben. Beispielsweise die körperliche Unversehrtheit der Kontrollierten und ein höfliches Verhalten gegenüber allen, unabhängig davon, ob dieser Kontrolleur das Aussehen, das Geschlecht oder die Verhaltensweisen seiner Mitmenschen gut findet.

Vielleicht gelingt es dir, deine Angestellten – bzw. diejenigen Firmen, die Menschen anstellen, um in deinem Namen andere zu kontrollieren – darauf hinzuweisen, dass solche Verhaltensweisen nicht in Ordnung sind. Unter Umständen musste dabei auch bei null anfangen (Kommunikationstraining, Antiaggressionstraining, Strafgesetzbuch…), aber ich glaube, das wäre es wert.

Die Vorgangsnummer kannste gern bei der Polizei erfragen.

Mit heute mal unfreundlichen Grüßen
Koray Yılmaz-Günay

#WeilDuSagstDassDuMichLiebst

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