Koray Yılmaz-Günay
Tugendterror

KfD – Krumen für Deutschland

Dieses Interview mit der wirklich geringwertigen Veränderung von «Wir wollen weder eine linke noch eine rechte Partei sein» zu «Wir sind die wahre Mitte» macht mir wirklich Hoffnung. Weil mich dieser Satz heute Morgen, beim Lesen, ein weiteres Mal an Wilhelm II. erinnert und mir deswegen ein kleines Lächeln auf die Lippen gezaubert hat. Der letzte Deutsche, der den Kaiser-Titel trug, kannte, wie ich hörte, ab einem bestimmten Zeitpunkt «keine Parteien mehr», sondern «nur noch Deutsche». Wilhelm Zwo starb in einem Kaff in den Niederlanden, ohne nach seiner Abdankung jemals wieder deutschen Boden zu betreten. Leider gab es damals noch kein Fernsehen, deswegen konnte ihn in dieser wirklich schwierigen, aber sicher sehr viel Zeit zum Nachdenken gebenden Zeit kein Kamerateam von «Goodbye Deutschland! Die Auswanderer» begleiten. Sonst könnten Menschen heute auf einer Videostreaming-Plattform sich anschauen, wo sich einer der Vorläufer der nationalsozialistischen Volksgemeinschafts-Praxis, einer Gesellschaft, die heute und hier trotz ihrer Widersprüche ohne Widerspruch und innere Störung sein wollte, und zugleich einer ihrer ersten Kulminationspunkte war. Und eine der ersten volksgemeinschaftlichen Niederlagen.

Ich bin natürlich kein Orakel – insbesondere, was die Zukunft der BRD AG betrifft, die dem Deutschen Reich folgte, aber dieses Interview gibt mir wirklich Hoffnung. Es gibt mir, genauer gesprochen, die Hoffnung, dass das «Bündnis Sahra Wagenknecht» dasselbe Schicksal ereilen wird wie Kaiser Wilhelm II. und #SitzenBleiben, für das niemand mit Relevanz und Verstand «aufstehen» wollte. Warum denke ich das?

1. Weil dieses Interview mit der Sächsischen Co-Vorsitzende des BSW die Schwächen des Sekten-Charakters dieser vermeintlichen Nicht-Partei zeigt. Oder, meinetwegen – um weniger abwertend zu klingen –: den Ein-Personen-Charakter dieses «Bündnisses». Allem voran kann Sahra Wagenknecht selbst nur einmal für etwas kandieren. Das zusätzlich benötigte Personal muss vor allem aus dem Bestand von Ex-Linken kommen:

2. Erstens gibt es meines Wissens keine nennenswerten Übertritte aus anderen Parteien – und zweitens auch sonst kaum bekannten Personen, die eingetreten wären, die eigene – für das treue Spektrum von Sahra Wagenknecht nicht (bzw. nicht gut erreichbare) – Zielgruppen ansprechen und binden würden. Also kommen nur Charaktere in Frage, die bis vor Kurzem noch Mitglied der Partei DIE LINKE waren. Und das können – aufgrund der Allgegenwart der Großen Vorsitzenden – nur C-, D-, E- oder gar nicht Prominente sein.

3a. Die Bundesrepublik ist nicht Frankreich, wo einzelne Figuren wie der gegenwärtige Präsident (und auch derjenige, dem Sahra Wagenknecht politisch früher politisch näherstand und der gern der gegenwärtige Präsident geworden wäre: Jean-Luc Mélenchon) tatsächlich etwas werden können. Macron und Mélenchon haben nebenher aus steuerlichen, logistischen oder anderen Gründen auch eine politische Partei um sich herum gegründet. Aber sowohl Macrons «(La République) En Marche!» (heute: «Renaissance») als auch «La France insoumise» bauen auf einer real vor der Parteigründung und der individuellen Karriere vorhandenen Bewegung auf, statt auf einer «Bewegung», wie im Fall des BSW, die von einer Vorsitzenden auch beim zweiten Versuch per Dekret gegründet und dann von irgendwem, in ihrem Sinn, lustlos angeführt werden soll. Weil sie für Bewegung sich zu schade ist.

3b. Es ist in Frankreich üblich – nicht erst seit vorletzter Woche und auch nicht wegen der Persönlichkeitsstruktur von Menschen wie Jean-Luc Mélenchon –, dass Menschen demonstrieren, ganze Städte oder Regionen blockieren, Autos abfackeln oder Straßen- und Wohnblockschlachten und tatsächliche Streiks veranstalten. Es ist ihnen also wesentlich wichtiger, was a) sie und was b) sie für sich selbst wollen als das, was für den Standort Frankreich schön und wünschenswert wäre. Ich wäre sehr froh, wenn mir jemand eine Entsprechung in der Bundesrepublik zeigen würde, wo Meinungsverschiedenheit allzeit «Polarisierung», wo der Streit um die richtige Problem-Beschreibung, Richtung oder Lösung immer hinderlich fürs kollektive Wohlbefinden sind. (Mir fällt nur die Klimaschutzbewegung ein, die Einkommensverluste für einzelne, den Entzug der Gemeinnützigkeit für spendenfinanzierte Organisationen, Erklärungsnotstand in der Schule, Rufmord in der BILD-Zeitung und Kriminalisierung wenigstens in ihren Anfangszeiten in Kauf nahm…)

3c. Der Leninismus strebte die weitegehende Einheit von Staat, Partei und Bevölkerung an. Im Wesentlichen sind weltweit alle leninistischen Parteien gescheitert – außer in Bayern, wo der CSU diese symbiotische (oder zumindest osmotische) Verbindung in beträchtlichem Umfang bis heute tatsächlich gelingt. Ich möchte behaupten, dass dieser Untergang vor allem am leninistischen Verständnis der «Parteien neuen Typus» lag – also an der Konzeption von Kader-Organisationen, die auf dem Weg zur Diktatur des Proletariats – «natürlich» – besser als das Proletariat wussten, was gut ist für das Proletariat. Die den Bezug zur Bevölkerung nicht «verlieren» konnten, weil verlieren sich nur lässt, was man einmal hatte. Eine «Revolution», die von einer solchen Partei veranstaltet wird, mag in Russland Anfang des 20. Jahrhunderts zufällig geklappt haben, weil die spezifischen Bedingungen im Zarenreich nun einmal so und nicht anders waren. Ansonsten stellt es m.E. eine immense Beklopptheit dar, sich selbst zur «Avantgarde» der Klasse von Arbeitenden zu erklären, um den «Sozialismus» in einem Land – dem «eigenen» – zu verwirklichen. Diese … gelinde gesagt … paternalistische Herangehensweise wird noch absurder, wenn die selbsternannte Avantgarde sich – wie in diesem Interview – «links von der CDU, rechts von der SPD» verortet, also lieber schlechte Sozialpolitik (aber dafür exklusiv für die «eigenen Leute») machen möchte, statt einen besseren Begriff und eine bessere Praxis von Gesellschaft zu entwerfen.

4a. Den Wohlstand «gerechter» zu verteilen, ist ein ur-sozialdemokratisches Anliegen. Ein bisschen wie eine Strömung des Feminismus, der Macht zwischen «Frauenundmännern» auf «gerechte(re)» Weise «teilen» will. Ich möchte die «Intellektuellen», die sich für die «Avantgarde» einer oder mehrerer Gruppen halten, anregen, gelegentlich darüber nachzudenken, wie zusätzlich die Vermeidung des Entstehens bzw. der Abbau von vorhandener Herrschaft und Ausbeutung funktionieren könnte. Vielleicht ist nicht die Verteilung erst das «Ungerechte», sondern bereits die Produktion und die Zirkulation von Waren, die wie von Zauberhand im Globalen Norden zu «Wohlstand» und im Globalen Süden zu «Fluchtursachen» führen. Frauen, die wegen Armut in die Bundesrepublik kommen und ihre Partnerschaft, ggf. auch ihr/e Kind/er zurücklassen, damit west-/weiß-/deutschen und (post-) christliche Karrierefrauen zuhause ein bisschen weniger Erziehungs-, Pflege- und andere Haus- und Sorgearbeit erledigen zu müssen, korrespondieren mit der Frage, wo natürliche Ressourcen kostenlos (in den Immer-noch-Kolonien) bzw. ziemlich günstig (in den De-facto-Kolonien) mitgenommen werden, wo die Umweltverschmutzung und die riskante bzw. gesundheitsschädliche Arbeit stattfindet usw. Dabei ließe sich auf einer Erde, die es schafft, Menschen auf den Mond zu bringen und zurück, Haus- und Sorgearbeit unter Bedingungen konstanter Schwerkraft statt unter einheimischen und eingewanderten Frauen auch zwischen (Ehe-) Mann und (Ehe-) Frau anders verteilen.

4b. Selbstverständlich kann eine Partei, die offiziell gar keine Partei sein will, weil «Bündnis» zumindest viel kollektiver klingt, die historischen und aktuellen transnationalen Kontexte der «guten Sozialpolitik» in «unserem Land» weitere Jahrzehnte ignorieren. Das bedeutet auch: «Gute Politik in Deutschland ist in erster Linie, was den Menschen in Deutschland hilft. Denn wir können weder allen helfen – noch können wir alle hier reinlassen. (Weil ein solcher Wunsch bzw. eine solche «Gefahr» ja irgendwo auf der Welt existiert. #lol) Insbesondere, wenn das sehr kollektive Bündnis, für das sich unglücklicherweise nur der Name einer Einzelperson finden ließ, seinen Ort «rechts von der SPD, links von der CDU» sieht, darf das alles vermutlich niemanden wundern,

5a. Früher nannte sich eine zusammenhängende (missionarische) Welterklärung bzw. -anschauung «Ideologie», wenn sie von falschen Voraussetzungen ausging. Im vulgären Marxismus wurde und wird Ideologie oft auch als «falsches Bewusstsein» bezeichnet. Nichts anderes unterstellen diejenigen, die Sahra Wagenknecht anhängen, wenn sie insbesondere «den Grünen» ein «ideologisches» Gebaren vorwerfen (Ernährung, Heizung, Energieproduktion, Lebens-, Wohn- und Arbeitsweisen usw.). Nichts anderes macht die Interviewte hier, wenn sie die «Mitte» zum Platz des vermeintlich Nicht-Ideologischen erklärt. Denn wenn die einen «falsches Bewusstsein» haben/«Ideologie» erzeugen – und man selbst das aufgrund mysteriöser Zauberkräfte sehr gut beurteilen kann –, dann ist man selbst, implizit, im Besitz des «nicht-ideologischen», also des «richtigen Bewusstsein». Das ist zwar individuell sicher sehr tröstlich, aber trotzdem auch erstaunlich, weil Karl Marx im «Kapital» statt von dem einen «falschen» bzw. «verkehrten Bewusstsein» fast durchgängig in der Mehrzahl spricht, und zwar viel konkreter z.B. von «Anschauungen». Die inneren Vorstellungen treten hinter die gesellschaftlichen Strukturen und Prozesse selbst zurück.

5b. Wenn Wagenknecht als selbstherrliche Einzel-Person, die anderen selbstherrliche Wokeness und zugleich weinerliches Opfertum vorwirft, «das Problem» wäre – was meines Erachtens überhaupt nicht zutrifft –, müsste man sie direkt fragen, was die «Kommunistische» Plattform» den lieben Tag lang so «Kommunistisches» machte, solang Sahra Wagenknecht eine ihrer bekanntesten Vertreterinnen war.

5c. Das Problem ist meiner bescheidenen Ansicht nach derjenige «Antikapitalismus», der Sahra Wagenknecht auf ihrem skurrilen Weg zur Liebe zum rheinischen Kapitalismus (Sozialpartnerschaft statt Streiks und Klassenkampf, konformistische Gewerkschaften, schonungsloser Extraktivismus, problematische Geschlechterverhältnisse usw.) unhinterfragt folgt – und sich jetzt also unter den beiden schillernden Begriffen «Vernunft» und «Gerechtigkeit» offenbar immer noch für «links» hält, auch wenn die Chefin das immer vehementer nicht mehr sagt. Und die eine Landes-Co-Vorsitzende spezifischer formuliert: Wir sind noch links, nur halt jetzt «links von der CDU». (Aber vielleicht gibt es ja diskrete Chatgruppen, wo Wagenknecht allen Sympathisierenden regelmäßig versichert, dass ihr persönliches Bündnis zwar keine Strategie, dafür aber eine Menge Taktik habe?) Es wäre zum lauten Lachen, wenn es nicht so geschmacklos wäre. Und wenn die Ver-Wendung von «Vernunft» und die Miss-Wendung von «Gerechtigkeit» nicht wesentlich mehr zerstören könnte als die Partei DIE LINKE.

6a. Offenbar ist das System Wagenknecht, wenn es denn überhaupt ein durchdachtes System ist, immer noch geschult und orientiert am leninistischen Parteienverständnis. Ich meine das mit der CSU in Bayern ernst. Niemand muss «links» sein, um eine straff organisierte politische Kader-Organisation zu unterhalten. Das ist es, war mir Hoffnung macht. Weil es für solche Parteien ganz offenbar keine gesellschaftliche Basis und auch gesellschaftlich keinen Bedarf gibt. Ich sehe nicht, dass einzelne Positionen des BSW, die auch von progressiven Parteien vertreten werden, die regressiven Forderungen in den Hintergrund rücken oder den sektenartigen Charakter dauerhaft werden verdecken können. Zumal z.B. die Übernahme des österreichischen Rentenmodells, von der das BSW bei jeder Gelegenheit öffentlich träumt, Schuldenmachen für Straßen-, Brücken- und Bahnbau (und wohl auch für Bildung) ein «Geschmäckle» kriegen wegen der Hetze gegen Menschen, die Bürgergeld beziehen müssen, gegen Menschen, die in der Bundesrepublik Schutz vor Verfolgung suchen, queere Menschen, die ihr Queer-Sein nicht (nur) im Keller bzw. ohne Diskriminierung erst dann leben wollen, wenn die «wirklich wichtigen Widersprüche» in unserer Gesellschaft aufgelöst wurden, usw.

6b. Anders als oft lanciert, ist das BSW nicht die erste – und aktuell auch nicht die einzige Partei, die von einer (ehemals) charismatischen und/oder prominenten Person gegründet wurde: Andere solche «Experimente» sind (mindestens) das Team Todenhöfer, die Rechte Mitte HeimatHamburg, die Ökologische Linke – ÖkoLinX, die alle Wahlergebnisse in homöopathischen Bereichen erziel(t)en. Selbst die m.W. erfolgreichste «Ein-Personen-Partei» in der Bundesrepublik, die Schillpartei/Partei Rechtsstaatlicher Offensive, fiel nach ihrem sehr beeindruckenden Erst-Wahlergebnis von fast 20% bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg 2001 bei den Wahlen darauf in den Bereich unter 5% – und nächstes Jahr im Januar wird der Parteigründer und «Richter Gnadenlos» Ronald Schill nach dem 3. Platz bei «Promi Big Brother» (2014) und seiner Nackt-Teilnahme in der Bums-Show «Adam sucht Eva» (2016) sicher auch bei der Letzt-Verwertungsshow aus dem australischen Urwald zu sehen sein.

7. Zum Glück ist Sahra Wagenknecht Millionärin und wird hoffentlich niemals finanziell auf das Preisgeld beim «Dschungel-Camp» angewiesen sein. Aber was machen eigentlich diejenigen, die ihr so bedingungslos folgen, falls der Politikmarkt zwischen Sozialdemokratie und Konservatismus bereits vor der Gründung des BSW gesättigt gewesen sein sollte? Wird Sahra Wagenknecht sich dann:

– für «Vernunft» (eigene Leistung, verdienter Lohn) oder
– für die «Gerechtigkeit» entscheiden (Umfairteilung aller Vermögens- und Einkommensarten in ihrem Eigentum)?
– Meine Vermutung ist – um ehrlich zu sein – ein Dritter Weg: die «soziale Marktwirtschaft»: Wenn «wir» es uns als «Land» leisten können, werfen wir die Ausländer raus und «unseren» Proleten – wegen Gender-Gaga-Verhinderung nur generisches Maskulinum – ein paar Krumen in den Napf statt ins Portemonnaie. Besser auch für die nur noch Sachleistungen, damit die Krumen nicht über irgendeine Pöbel-Solidarität in Umschlägen doch noch zu den Ausländern gelangen, um dann in «Schlepper»-LKWs ins Ausland verbracht zu werden.

back to top