Claudia Lübcke (2006): «Verschiedenheit und Recht und Freiheit»? Im Gespräch mit Koray Yılmaz-Günay, Vorstandsmitglied von GLADT e.V. In: Verein Bildung und Publizistik (Hg.): → Der Rechte Rand 102 (September/Oktober), Seite 14 f.
Der Verein «Gays & Lesbians aus der Türkei Berlin-Brandenburg e.V.» (GLADT) engagiert sich für die Emanzipation von Lesben, Schwulen, Trans- und Bisexuellen aus der Türkei. Über den Rechtstrend in der Schwulen-Szene sprach Claudia Lübcke mit Koray Yılmaz-Günay, Vorstandsmitglied von GLADT e.V.
In Teilen der deutschen Homosexuellen-Szene ist, ob bei Szeneevents oder in einschlägigen Zeitschriften, ein Rechtstrend zu beobachten. Wie siehst Du das?
Ich würde mit einer Einschränkung sagen, dass ich dem komplett zustimme: Ich sehe einen Unterschied zwischen Lesben und Schwulen. Lesben haben schon in den frühen 90er Jahren, beispielsweise auf ihren Frühlingstreffen, aber auch in der Projektelandschaft, sehr früh angefangen, sich mit Themen wie Rassismus auseinanderzusetzen, interne Ausschlussmechanismen zu kritisieren und auch daran zu arbeiten. Zu schwulen Männern würde ich deine Einschätzung komplett teilen. Sie haben, im positiven wie im negativen Sinn, die Bewegung in die Mitte der Gesellschaft relativ deutlich vollzogen. Es sei denn, sie bleiben aufgrund Behinderung, Hautfarbe oder «ethnischer» Herkunft außen vor. Was weiterhin eine deutliche Zunahme in der Schwulenszene erfahren hat, sind Fetischartikel wie NS-Uniformen oder Nazi-Symbole. Das wird sehr viel unverkrampfter in der Szene eingesetzt und vielleicht wegen des Tabus mit Lustgewinn verbunden. Darüber hinaus stößt man im Internet immer wieder auf Fotos von Schwulen mit Nazi-Marken oder -Symbolen, aber auch auf rassistische Suchraster wie «keine Asiaten, N**** oder Tunten» und offen rassistische Kontaktanzeigen, in denen die Rede von «arabischen Filzläuse-Verbreitern» ist. Als Ausschlusskriterien verketten sich in diesen Bereichen all die Merkmale, die als nicht deutsch und männlich im herkömmlichen Sinn gelten. Auch im neuen Praunheim-Film «männer helden schwule nazis», in dem der Ex-Nazi und Auschwitzleugner Althans als Mitorganisator des Leder-Fetisch-Festes «Folsom Europe» auftritt, werden diese Trends gezeigt. Sie werden zwar wahrgenommen, allerdings gibt es innerhalb der Szene bisher kaum wahrnehmbare Debatten über die Bedeutungszunahme und Verharmlosung von Nazi-Symbolik als Fetisch. Es sind eher vereinzelte Stimmen, die dies thematisieren wollen.
Welche Tendenzen siehst du noch in den letzten Jahren: Von einer eher bunten, emanzipatorischen Schwulenszene hin zu mehr Nationalismus?
Da fällt mir als Beispiel das Motto des diesjährigen Berliner CSD ein. Der sollte unter dem Motto «Einigkeit und Recht und Freiheit» stattfinden, was durch die öffentliche Intervention vor allem des Szenemagazins «Siegessäule», der Lesbenberatung und von Einzelpersonen zu «Verschiedenheit und Recht und Freiheit» abgeändert worden ist. Immerhin etwas, auch wenn die Nationalhymne noch durchklingt. Die Forderung erscheint mir gerade von Mitgliedern einer Gruppe, die immer noch wegen ihres Andersseins diskriminiert wird, als irrational. Solche Forderungen gewinnen aber an Rationalität, wenn über die nationale Symbolik ein Ticket für die Mitte der Gesellschaft in Aussicht steht. Allerdings geht dieser Kurs auf Kosten homo- und transsexueller Frauen und Männer, die aufgrund anderer Merkmale nicht zu dieser eingemeindbaren Gruppe gehören, wie beispielsweise Behinderte, HIV-Positive oder Migrant/innen. Die Begleiterscheinungen dieses Kurses sind gerade für sie spürbar.
Gibt es in der Schwulen-Szene progressivere Stimmen, die auf den Rechtstrend und die öffentlich-nationalistischen Entwicklungen hinweisen?
Wir haben am Vereinsstand auf dem Lesbisch-Schwulen Straßenfest in Berlin 2006 eine Broschüre mit dem Titel «Gemeinsam gegen Antisemitismus» ausgelegt und wurden von mehreren Personen gefragt, was dieses Thema auf einem Fest von Homosexuellen solle, da hätten «andere Themen nichts verloren». Da wir als Organisation und Bevölkerungsgruppe unter uns sowohl Jüdinnen und Juden als auch Antisemitismus haben, ist es für uns als homosexuelle Türkeistämmige in Berlin selbstverständlich ein Thema und muss es auch sein. Das will den Leuten nicht einleuchten. Es wird für kontraproduktiv für die Emanzipation von Homosexuellen gehalten, wenn man Problemthemen anspricht und damit vielleicht in der Gesellschaft aneckt. Ich bin homosexuell, gleichzeitig Türke und habe noch ganz andere Facetten. Dass Leute, die sich in Mehrheitssituationen befinden, das nicht immer mitdenken, muss nicht böser Wille sein, aber auf jeden Fall ist es fehlende Sensibilität für Identitäten, die es in dieser Gesellschaft gibt.
Was befördert deiner Meinung nach Männlichkeitskult und Diskriminierung von anderen Formen von Homosexualität?
Die Schwulenbewegung hat sich sehr schnell von der Frauenbewegung getrennt, während die Lesben sehr viel länger mit ihr zu tun hatten, das macht viel aus. Auch im Zuge der allgemeinen Nationalisierung in Deutschland ist nicht einsichtig, warum Homosexuelle unbedingt außen vor bleiben sollen, sie sind genauso sozialisiert und leben wie die Mehrheit der Menschen in diesem Land. Schwule Funktionäre gehören oft zur Mittelschicht und müssten eigentlich ganz selbstverständlich zur «Mitte der Gesellschaft» gehören, wenn es die Diskriminierung aufgrund ihrer Homosexualität nicht gäbe. Nur weil sie selbst zu einer Minderheit gehören, sind sie ja auch nicht verpflichtet, besonders tolle Menschen zu sein. Dass dem so ist, kann man einerseits verteufeln, wenn man sich ein emanzipatorisches Potential wünscht. Aber andererseits erlaubt ein nicht-homophober Blick, dass man Homosexuellen auch zugesteht, unreflektiert oder auch Nazi sein zu können. Man muss dann lernen, diese schwulen Männer auch als Nazis zu sehen und nicht mehr nur als Schwule.
Gibt es zusätzliche Probleme, denen homo-, trans- oder bisexuelle Migrant/innen sowohl von Seiten der Migrant/innen-Communitys als auch der Mehrheitsgesellschaft ausgesetzt sind? Was sind die Erfahrungen aus der Arbeit von GLADT?
Ich glaube, dass jede Mehrheitsgesellschaft, ob die türkische oder die deutsche, davon ausgeht, dass wir in unserer Minderheitenposition nicht glücklich sein können. In beiden Bereichen bist du aufgrund deiner Identität ein Störfaktor, weil du die homogene Selbstwahrnehmung in der Community durchbrichst. In den Augen der türkischen, arabischen oder kurdischen Communitys ist Homosexualität oft ein westliches Phänomen, das es in ihren Gesellschaften nicht gibt. Die deutschen Homosexuellen verlangen wiederum eine Anpassung an ihr spezifisches Identitätsmodell, das sie als allgemeingültig phantasieren. Dabei basiert es auf bestimmten materiellen Grundvoraussetzungen und einer funktionierenden städtischen Infrastruktur, die es so nicht in allen Bevölkerungsgruppen und Gebieten gibt. Identitätsentwürfe von Homosexuellen außerhalb dieser Norm können nach diesen Denkmustern daher nicht glücken. Ich glaube, dass Menschen mit Identitäten wie wir von GLADT e.V. vor der Herausforderung stehen, die Homogenität in der Minderheit und in der Mehrheit zu durchbrechen. Darauf muss aber die ganze Gesellschaft Antworten finden.
Vielen Dank für das Interview!