Ich wünschte – ohne Spaß –, ich könnte sagen: Die letzten Wahlergebnisse haben DIE LINKE zu einer dieser «skurrilen Minderheiten» gemacht, die bei Sahra Wagenknecht und ihren nationalen Soziale-Marktwirtschaft-Groupies motorisches und vokales Tourette verursachen. Es wäre ein klarer Fall von ausgleichender Gerechtigkeit. Und außerdem wäre es ausgesprochen lustig. (Ich habe übrigens in keinem einzigen Fall nachgesehen, ob skurrile Minderheiten wirklich Gesäßeiter bei skurrilen Möchtegern-Mehrheitsangehörigen verursacht haben, aber ich kenne Menschen, denen ich das unbesehen glaube.)
Ich kann leider nicht sagen: «Da schau her, der Weltgeist hat zugeschlagen: Die Projektion eigener Unzulänglichkeit auf Bedeutungslose hat zur eigenen Bedeutungslosigkeit geführt – hahaha.» Zum einen, weil in meinem Leben diejenigen, die «arbeiten» und «ausgebeutet» werden, nicht andere sind als diejenigen, die eine «Identität» haben und «diskriminiert» werden. Diesen «Widerspruch» – gegen jede Realität – in die Köpfe hämmern zu wollen, verdient die Verachtung von denen, die eine progressive, emanzipatorische Partei so sehr brauchen wie sie Gewerkschaften brauchen, soziale Bewegungen und kompensierende Mechanismen, die nicht wegen, sondern gegen Ausbeutung und Diskriminierung ein lebenswertes Leben ermöglichen. Auch ich habe – als ehemaliges Parteimitglied – mit mir gerungen, ob ich dieser Partei bei der Bundestagswahl (m)eine Stimme geben soll. Ich kann es niemandem verübeln, sich anders entschieden zu haben. Dabei hat mein Ringen lange vor Debatten über Corona-Schutzmaßnahmen, aktuelle Kriege oder Koalitions-Erwägungen, eigentlich schon vor meinem Parteiaustritt begonnen, z.B. als ein Herr Bartsch meinte, es sei an Hartz 4 nicht alles schlecht gewesen, und sein vermeintlicher Counterpart nur #Aufstehen wollte, weil #Erwachen schon an andere vergeben war.
Zum anderen ist die Folklore wirklich abstoßend, die in Erinnerung an vermeintlich bessre Zeiten um den traditionellen Mann, der sich um die Familie kümmert, veranstaltet wird. Das Modell der auf Dauer angelegten heterosexuellen Zwei-Personen-Ehe, in der der Mann seiner relativ anständig bezahlten unverschwulten Arbeit nachgeht und die Frau neben dem Minijob beim Discounter zuhause kostenneutral Sorgearbeit leistet – und zwar gern, weil sie noch nicht vom Gender-Gaga infiziert wurde –, dieses Modell war bereits in den 1980er Jahren kein Zukunftsmodell. In den 1990ern noch weniger. In den letzten beiden Jahrzehnten ist deswegen nicht «konservativ», sondern sicher «rechts», wer dieses Modell bewusst von der Mottenkiste fernhalten will.
Dazu kommt, dass die offenbar doch nicht unendliche Ausbeute an kostengünstigen Ressourcen und formaler und informeller Arbeit, die entweder im Globalen Süden verrichtet wird oder vom Globalen Süden, der jetzt im Globalen Norden wohnt, mittlerweile von anderen effektiver abgeschöpft wird. Eine weitere Partei, die eine «gerechtere Verteilung» des Reichtums auf Ebene des Nationalstaats wünscht, braucht deswegen niemand. Selbst wenn ihre Vorstellungen zur Verteilung des Wohlstands großzügiger sind. Eine Partei, die nicht die Distribution, sondern die Art und Weise der Erwirtschaftung des Wohlstands thematisiert, wäre wesentlich wichtiger – in der Analyse tatsächlich intersektional (global, mit der vergeschlechtlichten Arbeitsteilung, mit den Auswirkungen auf das, wofür es im Deutschen kein gutes Wort gibt: Race Relations). Leider ist dies weder der sozialdemokratische noch der vermeintlich sozialistische Teil in der Partei DIE LINKE. Diejenigen, die auf nationalstaatlicher wie transnationaler Ebene Ausbeutung von Menschen und Raubbau an der Natur organisieren, verstehen – anders als diejenigen, die das, was sie formulieren, für Kritik halten – sehr gut, wie Klassen- und Geschlechterverhältnisse, wie Rassismus und schonungslose Vernutzung der Lebensgrundlagen zusammenwirken und wie dieses Zusammenwirken zur Profit-Maximierung genutzt werden kann.
Ich hoffe, als Nicht-mehr-Partei-Mitglied, dass DIE LINKE die Kurve kriegt, als antikapitalistische, sozial-ökologische, feministische und rassismuskritische Partei gleichermaßen. Anders, als es die öffentliche Wahrnehmung hergibt, kenne ich zahlreiche Menschen, die in und außerhalb der Partei genau darauf hinwirken. Wie Gesellschaften aussehen, in denen es neben selbstzufriedenen, homöopathisch agierenden Kleinstparteien keine starke linke Stimme gibt, lässt sich in unterschiedlichsten Weltgegenden sehen. In einer solchen Gesellschaft möchte ich nicht leben. Ich möchte allerdings auch nicht in einer Gesellschaft leben, in der ich eine Partei wählen muss, obwohl ich lieber die falsche Aussage «Wenn Wahlen etwas verändern könnten…» popularisieren würde.