Koray Yılmaz-Günay (2011): Frauen und Homosexuelle im Clash of Civilizations. Mit Rassismus gegen Sexismus und Homophobie? In: → Bündnis «Rechtspopulismus stoppen» (Hg.): → Rechtspopulismus in Berlin. Rassismus als Bindeglied zwischen der «Mitte» der Gesellschaft und Neonazismus?, Seiten 41–43.
Rassismus ist in Deutschland ein Phänomen, das gern der politischen Rechten, wenn nicht den Rechtsextremen zugeschrieben wird. Als Erklärung halten in aller Regel eine mangelhafte «Aufklärung» über kulturelle Verschiedenheit oder negative Erfahrungen von Einzelnen her. Dass es sich dabei um ein Unterschichten-Phänomen handelt, ist ausgemacht. Statt von «Rassismus» spricht die Allgemeinheit immer noch lieber von «Ausländer_innen-» oder «Fremdenfeindlichkeit» und deutet diese streng individuell. Strukturelle Ebenen bleiben außer Betracht. Seit Jahr und Tag gibt es die zwanzig Prozent der Bevölkerung, die ein verdichtetes Weltbild haben, in dem ein Gemisch von Ungleichheitsideologien zum Einstellungs-Repertoire gehört. Feminist_innen sowie Lesben und Schwule gehören zum Feindbild dieser Menschen, weil unter anderem die Gleichberechtigung unterschiedlicher Geschlechter und sexueller Orientierungen den Kern des Weltbildes gefährdet, nach dem Gruppen von Menschen nicht nur verschieden, sondern auch unterschiedlich viel wert zu sein haben.
So war es auf den ersten Blick verwunderlich, als die Frauenrechtlerin Seyran Ateş forderte: «Männer, die einen gesicherten Aufenthaltsstatus haben und ihre Frauen schlagen, sollten mit ausländerrechtlichen Folgen rechnen müssen. Das heißt, deren Status sollte überdacht werden, ohne sie gleich auszuweisen» (Seid 2005) – oder ein Vertreter des Lesben- und Schwulenverbandes gar vor der «Überfremdung» von Innenstädten und «veränderten Mehrheiten» warnte (Ruder 2010). Es scheint, dass die meinungsbildende Elite dieser doch emanzipatorischen sozialen Bewegungen sich aus Sorge um ihre Errungenschaften in ein Fahrwasser begibt, das eher dem europaweit grassierenden Rassismus dient als der Gleichberechtigung benachteiligter Gruppen. Wie geht das → «Unbehagen», das Alice Schwarzer in diffuser «Wir»-Form formuliert, einher mit dem Kampf für eine Gesellschaft ohne Ausgrenzung und Gewalt?
«Kampf der Kulturen»
Populäre Schlagwörter haben die Eigenschaft, schnell in Vergessenheit zu geraten, wenn neue Realitäten andere Losungen notwendig machen. Der sogenannte «Kampf der Kulturen» hat eine Karriere hingelegt, die ihn zur exzellenten Ausnahme dieser Regel macht. Als Samuel Huntington 1993 die These aufstellte, der Zusammenprall von «Kulturen» werde die Weltpolitik im neuen Jahrtausend bestimmen, war der West-Ost-Konflikt gerade erst zu Ende. Ideologie, so schien es, schied ab sofort als internationale Auseinandersetzungslinie aus, wie es auch Politik und Wirtschaft taten. Es mussten neue Blöcke her, die in überzeugender Weise gegeneinander stehen. Trotz bestehender Anknüpfungspunkte musste daran aber erst einmal gearbeitet werden, denn bis Ende 1990er Jahre leuchtete diese These noch niemandem auf Anhieb ein. Rückblickend wird sichtbar, dass die Überzeugungsarbeit erfolgreich geleistet worden ist. Alle Auseinandersetzungen, die zwischen dem «westlichen» und dem «chinesischen» Kulturkreis sowie dem «Westen» und der «islamischen Welt» prognostiziert worden sind, bestimmen die medialen Debatten über die Weltwirtschaft (China) und «kulturelle»/«religiöse» Verschiedenheit auf internationaler wie auf deutscher Ebene («islamische Welt»/«die Muslime»).
Die Rechte von Frauen und von Homosexuellen haben in diesem Zusammenhang eine bemerkenswerte Aufwertung erfahren. Ungeachtet aller Tatsachen wurde ein «Wir» konstruiert, das in seiner Inszenierung als kollektive Identität wie selbstverständlich Sexismus und Homophobie ausgelagert hat. Sätze, die die Wörter «westlicher Lebensstil», «unsere Kultur/Werte» beinhalten, erklären sich heute von selbst. Dass Frauen nach wie vor für dieselbe Arbeit ein Viertel weniger verdienen und zu Zehntausenden von häuslicher Gewalt betroffen sind oder dass der Arbeitsmarkt nach wie vor im Wesentlichen den Männern Zugang und Aufstiegschancen ermöglicht, dass homosexuelle Jugendliche wesentlich höhere Selbstmordversuchsraten haben, dass die eingetragene Lebenspartnerschaft nach wie vor ein Zweite-Klasse-Institut ist, dass gleichgeschlechtliche Lebensweisen, wenn überhaupt, nur im Biologie-Unterricht vorkommen – das alles muss das neue «Wir» nicht kümmern. Es reicht, dass einzelne Frauen und Homosexuelle die Gelegenheit bekommen, in den oberen Etagen mitzuspielen. Wenn der Preis dafür eine General-Amnesie in Bezug auf die unwirtliche Vergangenheit und Ignoranz gegenüber gesellschaftlicher Ungleichheit heute ist, scheinen weite Teile der Reste von Frauen- und Homosexuellenbewegung bereit, ihn zu zahlen.
Sexismus und Homophobie als Schicksal
Migrant_innen heißen jetzt nur noch «Muslime» und werden dafür verantwortlich erklärt, dass mit ihnen die vermeintlich überkommenen Phänomene Frauen-, Lesben- und Schwulenfeindlichkeit wieder in «unser» Land «zuwandern». Wie auf der internationalen Ebene gilt dies spätestens seit dem «Muslim-Test» in Baden-Württemberg (2006) auch für die bundesrepublikanische Debatte: Die Rechte von heterosexuellen Frauen und der Umgang mit Lesben und Schwulen sind zu Gradmessern für Modernität und Zugehörigkeit zu einer Wertegemeinschaft geworden, die trotz des Endes des West-Ost-Konflikts mit «der Westen» umschrieben wird.
Nicht nur im Fall Afghanistans gehörte neben dem islamistischen Terror die Situation von Frauen explizit zu den Gründen, warum eine militärische Intervention genau dieses Westens unabwendbar schien. Wie einst bei der Kolonisation des größten Teils der Welt war ein «zivilisierter» Umgang mit dem weiblichen Teil der Bevölkerung ein hervorragender Vorwand, um dem männlichen Teil der Bevölkerung die eigene Herrschaft aufzuzwingen.
Nicht anders verhält es sich mit Bevölkerungsteilen, die auf unabsehbare Zeit «mit Migrationshintergrund» bleiben werden. Nach entsprechender Schützenhilfe von Schwulenorganisationen (vgl. etwa Lesben- und Schwulenverband in Deutschland 2003) und Verteidiger_innen von Frauenrechten, die wegen Zwangsverheiratungen, Verschleierungszwang und so genannter «Ehrenmorde» heute öfter denn je in der Presse stehen, gilt seit etwa Ende 2004 als abgemacht: Es steht nicht zum Besten um die sexuelle Selbstbestimmung bei den «Muslimen». Spätestens mit dem Mord an dem niederländischen Regisseur Theo van Gogh waren in Deutschland aus den «Türk_innen», «Araber_innen» etc. «die Muslime» geworden. Gemeinsam mit dem Bekenntnis zu einem «christlich-jüdischen Abendland», das ohne die Erinnerung an Pogrome und Vernichtung auskommt, gehört seitdem die Abwehr vom Sexismus und Homophobie zum Kernbestand des bundesrepublikanischen Wertekanons – wie diese gleichzeitig als Wesensmerkmal «des Islam» und als Verhaltensrepertoire «der Muslime» unumstößlich im Raum stehen. Dass Homophobie seitdem – wie vorher schon Sexismus – vor allem auf körperliche Gewalt von Individuen gegen Individuen reduziert wird, die jenseits gesellschaftlicher und staatlicher Strukturen «kulturbedingtes» Schicksal vor allem einer Bevölkerungsgruppe ist, versteht sich von selbst.
Teile und herrsche
Dass dies mit der faktischen Wirklichkeit in Deutschland nicht viel zu tun hat, zeigte die Debatte um die Ergänzung des Grundgesetz-Artikels 3. Die Forderung, den Antidiskriminierungskatalog der Verfassung um das Merkmal «sexuelle Identität» zu ergänzen, scheiterte mit dem Hinweis der Bundesregierung auf «die Muslime», denen es dann schwerfiele, sich zu «integrieren». Die Tendenz, benachteiligte Gruppen gegeneinander in Stellung zu bringen, um mit kleinen Zugeständnissen das große Ganze bestehen zu lassen, scheiterte 2010 aber zum ersten Mal öffentlichkeitswirksam: «Die Verfolgung und Diskriminierung von Homosexuellen findet keine islamische Rechtfertigung. Ein umfassender Diskriminierungsschutz in der Verfassung für alle Menschen ist für das friedliche Zusammenleben in Deutschland notwendig», → verlautbarte der Generalsekretär des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek.
Als wenig später die Philosophin und Queer- und Gender-Theoretikerin Judith Butler den Zivilcourage-Preis des Berliner CSD e.V. ablehnte, indem sie auf die Komplizenschaft von Teilen der Szene mit außenpolitischer Militarisierung und rassistischer Mobilmachung gegen Muslim_innen im Inland hinwies, geriet die sicher geglaubte Hierarchie der Minderheiten vollends in Unordnung. Seitdem bewegt sich der hegemoniale Diskurs innerhalb queerer, aber auch feministischer Kreise wieder weg von identitären Konstruktionen («Wer bin ich?») hin zu einem «Wo stehe ich?» Der Fokus auf gesellschaftliche Verortetheit wird es ermöglichen, gemeinsam gegen Diskriminierung vorzugehen, ohne sich in eine «Opfer-Konkurrenz» zu begeben. Es kann nicht darum gehen, Homophobie und Sexismus unter Muslim_innen unter den Teppich zu kehren oder sich mit Lippenbekenntnissen zufriedenzugeben, die gut in der Presse, aber nicht im Alltag funktionieren. Wir müssen verstehen, wann, wie und vor allem zu welchem Zweck Frauen-, Schwulen- und Lesbenfeindlichkeit zu Argumenten in einem rassistischen Diskurs werden. Die Überwindung von Sexismus und Homophobie kann sinnvoll nur als antirassistischer Kampf geführt werden.
Zitierte Quellen:
Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (2003): Schluss mit Diskriminierung und Gewalt. LSVD: Migranten müssen Verhältnis zu Homosexualität klären. In: LSVD Pressedienst, Info 29/03 vom 18. Juli.
Ruder, Dirk (2010): «Deutschland» soll helfen. Sperrbezirk Autowerkstatt: Zu seinem 20. Geburtstag gab sich der LSVD ein neues Programm. In: junge Welt vom 17./18. April.
Seid, Barbara (2005): Seran [sic!] Ateş – eine türkische Alice Schwarzer. In: Klartext. Zeitung der PDS in Friedrichshain-Kreuzberg, Ausgabe 4 (2005), Seiten 3–4.
Zuerst erschienen in der Broschüre → «Rassistische Verhältnisse. Ausblicke – Tendenzen – Positionen» von → ReachOut Berlin (Hg.), März 2011.