«Die Art, wie ‹wir› über ‹uns› sprechen, ist vielleicht eine der wichtigsten Grundlagen für die Zusammenarbeit und das Zusammenstehen in und zwischen verschiedenen ‹Communitys›.»
Im letzten Vierteljahrhundert hat sich der Begriff «People of Color» eingebürgert, nicht nur im Aktivismus, sondern zunehmend auch im offiziellen Sprachgebrauch – von Politiker_innen bis hin zu denjenigen, die durch finanzielle Förderung Aktivismus oft erst ermöglichen. Er hat andere Begriffe weitgehend ersetzt, die im Rahmen derselben Suchbewegungen entstanden waren, um das erfahrungsbasierte rassismuskritische Zusammenstehen zu ermöglichen.
Diese bemerkenswerte Karriere in relativ kurzer Zeit zeugt einerseits von einem paradigmatischen Wandel. Wer in den 1990ern das Wort «Rassismus» benutzte, sah sich mit dem Vorwurf konfrontiert, die Existenz unterschiedlicher Menschen-«Rassen» zu bestätigen. Der Begriff «People of Color» – und in der Folge auch «Black, Indigenous» und «People of Color» (BIPoC) – hat dagegen eine zentrale zusammenführende Rolle gespielt.
Ausgelassen worden ist dabei in der aktivistischen Praxis aber gleichzeitig allzu oft die Frage, ob sich ein Begriff aus dem siedlungskolonialistischen Kontext angelsächsischer Debatten ohne Weiteres auf hiesige Realitäten übertragen lässt. Die auf Landnahme, Genozide und Versklavung und vor allem auf die entsprechenden Widerstandsgeschichten zurückgehenden Begriffe bilden auch hierzulande in den letzten Jahren die Grundlage für Allianzen, sie erzeugen allerdings auch spezifische Schwierigkeiten bzw. Leerstellen, die zu füllen wären.
Wer sind im deutschen Kontext beispielsweise die «Indigenen»? Wie verhält es sich mit Menschen aus der Türkei und der Region, die «Naher» bzw. «Mittlerer Osten» genannt wird? Menschen aus Südwestasien und Nordafrika werden in nordamerikanischen Bevölkerungsbefragungen als «weiß» kategorisiert – was vor dem Hintergrund deutscher Migrations- und vor allem Asylpolitik kaum vorstellbar wäre. Darüber hinaus müssten manche «politischen Selbstbezeichnungen», die aus Widerstandsgeschichten gegen rassistische Unterdrückung resultieren, hierzulande sicher anders gedacht werden als in Gesellschaften, deren Nationalstaatlichkeit sich auf andere Weise begründet als in zentral-europäischen Kontexten. Jüdische und romani Menschen beispielsweise leben seit Jahrhunderten auf dem Gebiet, das erst (viel) später zu «Deutschland» wurde, sie sind nicht «dazugekommen», weder auf gewaltsame noch auf freiwillige Weise. Ihre vorhandenen Eigenbezeichnungen mussten gegen andere Formen der Diskriminierung, Vertreibung, Entrechtung und Genozide verteidigt werden, als Begriffe, die auf den Widerstand gegen Gewalt- und Genoziderfahrungen des Siedlungskolonialismus, der Versklavung und des neuzeitlichen Rassismus zurückgehen.
Das transnationale Lernen in rassismuskritischen Bewegungen – wenn es mehr sein soll als die falsche Universalisierung spezifischer Erfahrungen – würde eine ganz eigene, wesentlich komplexere Übersetzungsleistung für den deutschen Kontext erfordern, als wir sie bisher leisten. Auch als Migrationsrat Berlin nutzen wir wie selbstverständlich «PoC»/«BIPoC», ebenso, wie «Community». Wir tun das, weil solche Begriffe oft wesentlich besser geeignet sind, Probleme zu beschreiben und Allianzen zu ermöglichen. In einer Gesellschaft, in der «mit Migrationshintergrund» die einzige verfügbare Datengrundlage ist, ermöglichen sie – ausgehend von Rassismuserfahrung – ein anderes, ein realistischeres Gespräch. Und doch geraten wir mit ihnen im Alltag auch an Grenzen, die durch sie aufgeweicht bzw. gänzlich vermieden werden sollten.
Manche, die für sich den Fokus auf «Migration» als Fremd-Machung wahrnehmen und zurecht ablehnen, bevorzugen (BI)PoC – andere, die als weiß «durchgehen» (würden) und aus (BI)PoC-Debatten herausfallen, machen Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen, die mit dem aktuellen rassismuskritischen Vokabular nicht bzw. nicht ausreichend beschrieben werden (können). Weder «(BI)PoC» noch «Migration» allein reichen aus, um spezifische Situationen und notwendige Allianzen in Deutschland zu thematisieren. «Unsere» Terminologie braucht ein Update, wenn «wir» erfolgreich sein wollen.
Dieser Text ist am 2. Dezember 2022 erschienen in:
→ xart splitta e.V. (Hg) (2022): → Zusammen als People of Color?! #CommunitiesSolidarischDenken – Überlegungen zu nachhaltiger Community-Zusammenarbeit III. Berlin, Seiten 34–36.