Ich möchte mal eine Sache sagen, die mir auf der Seele brennt, seitdem es diese NSU-Protestaktionen mit dem langweiligen Titel «5 vor 12» gab. Wenn die Aufdeckungen (und alles, was nicht aufgedeckt werden durfte) zu einer Neonazi-Bande, die am Tageslicht lebt und gute nachbarschaftliche Beziehungen unterhält – und trotzdem «Untergrund» genannt wird –, die von unterschiedlichsten staatlichen Stellen materielle und immaterielle Hilfe erhält, die hartnäckig als «Trio» bezeichnet wird, bei der die einzige konkrete staatliche Veränderung darin besteht, dass erstmals nach der Nazi-Zeit Geheimdienste und Polizeibehörden direkt zusammenarbeiten dürfen – wenn das alles der Fall ist, wie lässt sich da von «5 vor 12» sprechen? Wie müssten denn diese Gesellschaft und dieser Staat beschaffen sein, damit es «12» ist? Und wie sähe es «5 nach 12» aus?
Was mich auf dieses alte Thema bringt, ist ein Interview mit dem Initiator von #MeTwo, das ich eben sah. #MeTwo: eine Aktion, die ich schätze, weil viele Menschen da mitmachen, die ich kenne. Weil ich es heilsam finde, die ganze erlebte Scheiße mal in Größenordnungen und öffentlich zu äußern, auch wenn ich Saboura Naqshbands Einwand verstehe und ebenfalls teile:
Die meisten Sachen sind einfach zu entwürdigend, um sie nochmal aufzuzählen… Wird sich etwas ändern, warum müssen eigentlich immer die Betroffenen ihre Geschichten teilen? Warum können von Rassismus und Sexismus Privilegierte nicht mal schreiben, warum sie nichts tun, in welchen Situationen sie immer zugesehen haben, warum sie die NSU-Verbrechen nicht aufregen, was ihre Großeltern eigentlich zur Nazi-Zeit getrieben haben, ob und wie das zuhause diskutiert wird, warum sie nicht aktivistisch sind, und uns das Schreien und Jammern und die Burnouts und Fallbacks überlassen… #metwo – und du so? #chillinglalaland… .
Was mich verstört bei Ali Can und seinen Aussagen –
Wir müssen die Rechtsordnung akzeptieren und einhalten;
Wir brauchen eine wertschätzende Streitkultur, Kritik sollte sachlich und nicht polemisch geäußert werden;
Wir müssen in die Schulen gehen;
Dieses Gefühl vom Ausgegrenztsein ist nicht gut für Integration [!];
Moslems… [!]
usw. – ist dieselbe Naivität, wonach a) der Rahmen, in dem die ganze Scheiße stattfindet, eigentlich ganz schnafte ist und b) dass «wir» bessere Menschen sein sollten als «die». Das erste ist das «Es ist – zum Glück – immer noch 5 vor 12»-Argument. Und für das zweite fehlen mir schlicht die Worte. Ich hielt nicht, ich halte nicht, ich werde nicht halten: die andere Wange hin, um moralisch überlegen zu sein. Ich halte es da eher mit → Jilet Ayşe.