Hakan Taş, Koray Yılmaz-Günay (2005): Von der Schwierigkeit positiver Berichterstattung. In: Jüdischer Kulturverein Berlin e.V. (Hg.): Interkulturelles Altern. Eine Herausforderung der Zukunft, Seiten 33–34.
Werden Kriminalitätsstatistiken veröffentlicht, kann man mit Sicherheit davon ausgehen, dass «ausländische» Delinquenz besonders hervorgehoben wird, ohne dass die Methode der Erhebung dabei problematisiert wird. Und gierig stürzen sich die Medien dann darauf. Weist man aber darauf hin, dass die allermeisten «ausländischen» Menschen ein stinknormales Alltagsleben haben, spiegelt sich das nicht in der Boulevardpresse. Allenfalls besonders «exotische» Exemplare der Spezies schaffen es mit ihren Ausnahmebiographien auf die dritte Seite.
Dabei haben Migrantinnen und Migranten – das ist der Ausdruck, den wir bevorzugen – von ihrer Kindheit, über die Schul-, Ausbildungs- und Arbeitszeit hinaus auch ein Leben im Alter. Derzeit haben vier Prozent der Rentnerinnen und Rentner in der BRD einen Migrationshintergrund, schon in einem Jahrzehnt wird sich diese Zahl verdreifacht haben. Aus den jungen, gesunden Menschen, die in den 60er Jahren als Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten kamen, sind heute kranke Alte geworden. Ihre besondere Situation – «Altgewordene in der Fremde» – wird aber selten thematisiert. Man geht ganz selbstverständlich davon aus, dass sie sich in der bestehenden Ordnung zurecht finden, dass sie sich an die bestehenden Dienste gewöhnen. Die Überlegung, dass das monokulturelle Prinzip auch in diesem Bereich vielleicht von der Wurzel her überdacht werden müsste («interkulturelle Öffnung»), wird kaum diskutiert: Nicht nur hier hört man allzu oft: «Wir sind für alle da» oder «Zu uns können alle kommen, alle sind willkommen!»
In der Praxis gibt es aber Hemmnisse, die sowohl den Zugang als auch die tatsächliche Versorgung von alten Migrantinnen und Migranten einschränken. Vor allem Bedürfnisse religiös gebundener Menschen im Bereich häuslicher Pflege werden in einer immer hektischer arbeitenden Branche kaum berücksichtigt. Das Friedhofs- und Bestattungsrecht in den meisten Bundesländern (auch in Berlin und Brandenburg) geht davon aus, dass hier nur Christinnen und Christen sterben. Dass jüngst Niedersachsen als zweites Land seine Gesetze in diesem Bereich geändert hat, spiegelte sich kaum in den Medien wider.
Alte Menschen allgemein sind kein «sexy» Thema, ganz zu schweigen von alten Migrantinnen und Migranten – so wie Migrantinnen und Migranten im Allgemeinen ohnehin nur dann in die Medien kommen, wenn die Rede ist von Islamismus. In diesem Bereich tun sich mehrere Schwierigkeiten auf, die das Thema komplizierter machen, als es schon ist. Wer sind «Migrantinnen und Migranten» eigentlich, sprechen sie Deutsch, konsumieren sie deutschsprachige Medien? Welche nicht-deutschsprachigen Medien gibt es, wer macht sie, was sind ihre Schwerpunkte? Wie sehr setzten sich Zugewanderte selbst mit dem Thema Altern/Alter auseinander? Gibt es Menschen oder Gruppen, die die Bedürfnisse artikulieren und als Ansprechpersonen zur Verfügung stehen (können)?
Aus unseren Erfahrungen können wir Folgendes sagen: Die türkeistämmigen Menschen verfolgten bisher hauptsächlich die türkisch- und kurdischsprachigen ausländischen Medien, rezipieren aber in letzter Zeit verstärkt auch deutsche Medien, ob sie nun deutschsprachig sind oder nicht («Hürriyet» und andere Tageszeitungen zum Beispiel haben Europa-, Deutschland- oder sogar Berlin-Seiten, teilweise auch auf Deutsch, ein 24–stündiges Radioprogramm informiert auf Türkisch über das Geschehen in Berlin…).
Nun denken wir aber, dass die Themen von rund 10% der Gesellschaft durchaus auch die «deutschen» Medien etwas angehen sollten und müssen. Zu denken wäre beispielsweise an eine «MigrantInnen-Seite», die nicht Migrantinnen und Migranten als Problem für «unsere» Gesellschaft zeigt, sondern als Teil der Gesellschaft. Journalistinnen und Journalisten, die kultursensibel sind – ob nun mit oder ohne Migrationshintergrund – kommt dabei sicher eine große Bedeutung zu. Jemand muss schließlich das Interesse wecken, die Themen bearbeiten etc. Vielleicht wird dann ja sogar eine tablettenabhängige russische Jüdin oder ein behinderter kurdischer Mann «sexy»…