Koray Yılmaz-Günay

Warum ich gegen US-Importe bin

Mitte September 2021 jähren sich die Anschläge von Hoyerswerda zum 30. Mal. Zwischen dem 17.–23. September 1991 hatte sich ein Mob ein «Wohnheim» für v.a. mosambikanische und vietnamesische Vertragsarbeiter_innen der ehemaligen DDR auserkoren, danach ein anderes Haus, in dem in dem v.a. Asylsuchende aus Bangladesch, Ghana, dem Iran, Rumänien und Vietnam untergebracht waren.

Das Wort «wohnten» würde für beide Gebäude einen falschen Eindruck erwecken.

Hoyerswerda 1991 (Foto: https://pogrom91.tumblr.com).

«Hoyerswerda» wird nächstes Jahr einen Reigen von 30. Jahrestagen einleiten. Es wird weitergehen mit Rostock (22.–26. August 1992) und Mölln (23. November 1992). Davor, währenddessen, danach hunderte andere Jahrestage, die sich nicht ins Gedächtnis eingebrannt haben, weil sie nicht die massivsten rassistischen Ausschreitungen und Morde seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs («Befreiung») waren. Weil vor allem die «großen» Ereignisse zwei Lügen – den ostdeutschen «Antifaschismus», der alle mit Gründung der DDR beseelt haben sollte, und das westdeutsche «Lernen aus der Shoa» – erkennbar ins Wanken geraten ließen. – Es war auch nicht gerade unerheblich, dass der «Standort» gefährdet wurde, in den doch alle Welt investieren sollte, damit die Landschaften endlich zu blühen sich bequemten.

Die «friedliche Revolution», der Friede, die Freude und die Eierkuchen in den ersten vier Jahren nach der Wiedervereinigung kosteten mindestens 27 rassfizierten Menschen das Leben, wie Dr. Noa Ha → jüngst erhoben hat. [Der Artikel erscheint im Juli 2020, die Gedanken hier basieren auf einem Austausch mit Noa Ha]. Bis zum Anschlag von Solingen (29. Mai 1993), ein anderer 30. Jahrestag, der bald ansteht. Dabei sind die Toten an den Außengrenzen der BRD, die damals z.T. die Außengrenzen der Europäischen Gemeinschaft waren, noch gar nicht mitgezählt.

1. Über einhundertfünfzig Tote in staatlichem Gewahrsam seit der Wiedervereinigung

Der Staat und seine Behörden waren in Hoyerswerda «nicht in der Lage», zu «überrascht» und/oder «überfordert», die Ausschreitungen zu verhindern, zu beenden und – am wichtigsten – die Opfer zu schützen. In Lichtenhagen fuhr die nach der Wende aus der «alten Bundesrepublik» importierte Polizeiführung sogar trotz angespannter Lage und Warnungen im Vorfeld einfach mal ins wohlverdiente Wochenende in der freiheitlich-demokratischen Heimat weiter westlich. Es war nur dem Zufall geschuldet, dass in Hoyerswerda und Rostock niemand starb. In Mölln war das anders. Aber die Polizei wusste Bescheid: Die Verantwortlichen wurden im Kreis der Familie der Opfer gesucht, zunächst Faruk Arslan, Sohn bzw. Vater von zwei Ermordeten. Ein Schelm, wer da an die Reaktionen der Ermittlungsbehörden nach den NSU-Morden denkt.

Mölln 1992 (Foto: Rolf Rick, DPA).

In Solingen bedankten sich die Mörder bei ihrer Regierung und der größten Oppositionspartei direkt für die Änderung des Grundgesetzes, durch die das Asylrecht in der Verfassung faktisch abgeschafft wurde, indem sie weitere Menschen ermordeten. Hätte es damals smarte Phones gegeben, hätten sich die Mörder direkt mit Zwinker-Smileys an die Abgeordneten der ganz großen Koalition aus allen CDU/CSU–FDP- und der meisten SPD-Fraktionsmitglieder wenden können. Man verstand einander. Wer sich bei der «Staatskrise» von Anfang der 1990er Jahre, die für die SPD nicht nur Björn Engholm, sondern maßgeblich auch Oskar Lafontaine beschwor, an Sahra Wagenknechts «Staatsversagen» von «2015» erinnert, ist nicht automatisch ein schlechter Mensch. Das Asylbewerberleistungsgesetz, das seitdem für eine gesetzlich verbriefte Zweite-Klasse-Behandlung von Millionen gesorgt hat – inklusive abgesenktem Existenzminimum, Wohnsitzauflagen, die später auf Hartz4-Empfänger_innen ausgeweitet wurden usw. – ist uns als Geschenk aus der Zeit bis heute erhalten. Wo die ehemaligen Bewohner_innen des «Sonnenblumenhauses» in Lichtenhagen geblieben sind (abgeschoben, gestorben, noch in Deutschland) – wer weiß es? Mir liegen die Würstchen, die im Rahmen des Pogroms vor dem Gebäude gegrillt wurden, noch heute im Magen.

Der Staat und seine Repräsentant_innen hatten seitdem 1.000e gewalttätige, oft genug mörderische Anschläge auf Wohnhäuser, Imbissbuden, Synagogen und Moscheen, einzelne Gräber und ganze Friedhöfe, Gedenkstätten, Unterkünfte für Asylsuchende und auch unmittelbar auf einzelne Menschen und Menschengruppen Zeit, ihre Reaktionsweisen zu überdenken. Sie überdachten nicht. Sie wollten nicht. Weil die Ordnung recht in Ordnung war. Die Kampagne → Death in Custody verzeichnet allein zwischen Wiedervereinigung und Frühjahr 2020 (bisher) über 150 Fälle von Menschen, die in staatlichem Gewahrsam zu Tode kamen.

2. Gesellschaft und Gemeinschaft

Es ist nicht nur der Staat. Die «Gesellschaft» – zumindest der maßgebliche Teil der Gesellschaft – verharmlost weiterhin, wie der Staat, rassistische Morde (Einzeltäter, Perspektivlosigkeit, psychische Störung, Ausnahmen in ansonsten tippitoppi okayen Geheimdiensten und Polizeibehörden). Oder, einfacher, ignoriert, was für manche andere Teile der Gesellschaft zum Alltag gehört und – ganz trivial – selbstverständlich ist. Die Ausnahmen der einen sind Glieder in den Erfahrungs-Ketten anderer. Dass «Rassismus», «Antisemitismus», «Rechtsextremismus», «Hass», «Menschenverachtung» in unserem Land «keinen Platz» habe, kann sich leisten zu sagen, wer mit «unserem Land» diejenigen meint, die weiß-deutsch-christlich sind. In «meinem» Land haben alle Ausprägungen des Rassismus sehr viel Platz. Es ist geräumig hier.

Abschiebungen werden nur dann zum Skandal, wenn sie besonders menschenverachtend durchgesetzt werden. Das heißt zum Beispiel: wenn jemand währenddessen stirbt oder kurz nach der Ankunft in der «Heimat» Selbstmord begeht. Das Sterben im Mittelmeer und in der Ägäis wird von einem Grundpfeiler des liberalen Bürgertums nicht etwa in Form einer zwischenstaatlich vereinbarten Verpflichtung legitimiert – das wäre die einzig richtige und im Übrigen auch staatstragende Lösung –, sondern in eine Frage gepackt: → «Oder soll man es lassen? Private Helfer retten Flüchtlinge und Migranten im Mittelmeer aus Seenot. Ist das legitim? Ein Pro und Contra.» Dass den Lesenden der ZEIT offenbar nicht nur der moralische Kompass fehlt, sondern auch das Leseverständnis, lässt sich an dem «und Contra» erkennen. Es ist schon am Fragesatz erkennbar: Die Frage lässt sich auch mit einem Nein beantworten. So wie – natürlich mit ganz, ganz schlimmen «Bauchschmerzen» – wir seit «2015» auch mal sagen können müssen, dass wir nicht «das Sozialamt der Welt» sein können. Als wäre «die Welt» interessiert, hierher zu kommen, um sich die Stütze zu holen. So als wäre – etwas vorgängig – nicht «die Welt» überhaupt erst auf ein Sozialamt angewiesen, weil es Staaten wie die Bundesrepublik gibt. Auch hier gilt: Wer Parallelen zwischen supi-dupi-demokratisch legitimierter Meinung und Propaganda der NPD erkennt, muss nicht notwendiger Weise paranoid sein.

Sagen, was ist (Zusammenstellung: https://twitter.com/sven_giegold/status/568047092704395264).

Durch Begriffe wie «Ausländerfeindlichkeit», «Fremdenfeindlichkeit/-angst», Diskriminierung «wegen/aufgrund der Herkunft», «islamkritisch», «asylkritisch» werden die Phänomene selbst dort, wo sie wenigstens als Einzelfall zur Kenntnis genommen werden (müssen), entweder auf «Eigenschaften» der Opfer zurückgeführt oder zur anthropologischen Konstante erklärt («Menschen haben Angst vor dem, was sie nicht kennen») – oder aber mit dem Hinweis auf Meinungs-, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit oder dem festen Stehen auf der selbstverständlich vollkommen demokratischen und freiheitlichen Grundordnung verharmlost (besser: geadelt).

Dass insbesondere Meinungs-, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit nicht isoliert im jeweils eigenen Vakuum stattfinden, sondern mit einer Gesellschaft und ihren Institutionen zu tun haben, dass in diesen Institutionen Jahrzehnte und Jahrhunderte von Geschichte sedimentiert sind, gerät aus dem Blick, weil die Ver-Einzelung sowohl der Opfer als auch der Täter von Diskriminierung, Gewalt und Mord nicht nur das Justizwesen, sondern auch die Denke «der Gesellschaft» (also ihres weiß-deutsch-christlichen Teils) bestimmt.

Antifaschistische Spektren – dem Selbstbild nach die wirklichen «Freunde und Helfer» – sind oft weniger freundlich und hilfreich, als sie es gern wären. Während der Nationalsozialistische Untergrund (der sehr wohl im Übergrund lebte), Banken überfiel, um mit dem Zubrot Bombenanschläge und Morde zu verüben – weil das Geld, das vom Verfassungsschutz kam, nicht ausreichte –, ignorierten Medienschaffende Massendemonstrationen der Angehörigen der Opfer, ignorierten die Benamung von Ermittlungskommissionen wie «Bosporus» und «Halbmond», die genau dasselbe taten wie sie mit dem Unwort «Dönermorde», ignorierten die Forderungen von rassismuskritischen Menschen und Organisationen, die auf den Sarrazynismus hinwiesen, ignorierten, dass in ihren eigenen Arbeitsumfeldern mehr als eine Bevölkerungsgruppe gar nicht oder kaum vorkommt.

Kassel 2006, als noch «niemand» vom NSU wusste. «Wir» wissen erst seit 2011 davon (Foto: Screenshot der ARD-Dokumentation «Acht Türken, ein Grieche, eine Polizistin»).

Antifa-Gruppen notierten parallel in ihren Chroniken brav, welcher Dorf-Neonazi zu welcher Gelegenheit den rechten Arm gehoben hatte, und befassten sich ansonsten gern mit muslimischem Sexismus, muslimischem Antisemitismus und muslimischer oder osteuropäischer Schwulenfeindlichkeit. Oder mit der Frage, in welchem Drecksblatt des Spinger-Konzerns, welcher Parlaments-Fraktion oder Universität sie mit ihrem quer-feministisch-bombig-antirassistischen Thema lieber Karriere machen würden. Das «migrantisch situierte Wissen» (Ayşe Güleç in Anlehnung an Donna Haraways Situated Knowledge) interessierte dabei kaum.

Zur Wahrheit gehört wohl auch, dass die staatliche Förderung von «Demokratie»-Projekten dazu geführt hat, dass eine nennenswerte Gruppe von Menschen mittlerweile meint, besser in und mit den Institutionen arbeiten zu können als gegen sie. Das Problem ist, dass [arabische, kurdische, türkische] «Clankriminalität», «Shishabars», der Drogenhandel, zumindest da, wo es um die billigen Substanzen geht, vom selben Staat ethnisiert und kriminalisiert werden, dass Frauen- und Homofeindlichkeit von derselben Zivilgesellschaft als kultureller/religiöser Ballast bestimmter Gruppen bekämpft werden. Dass es derselbe Staat ist, der Menschen Jahre lang zum Leben in Lagern zwingt. Dass Kinder- und Tierrechte dort zum Gegenstand werden, wo sie sich gegen die religiösen Praktiken bestimmter Gruppen wenden lassen. Niemand hat ein Problem mit der systematischen Verarmung von Kindern – für Leib und Leben nicht so unentscheidend –, wenn man doch trefflich den Bundestag über die Vorhautbeschneidung von Jungen entscheiden lassen kann. Wen interessiert die Art, auf welche Weise Milliarden Tonnen Fleisch «produziert» werden, wenn das wirkliche Problem doch das rituelle Schächten ist.

3. DEFUNDieren, umFUNDieren

Es führt kein Weg daran vorbei, die Existenz aller Inlandsgeheimdienste in Frage zu stellen. Niemand würde dadurch etwas verlieren, außer ein paar Leute ihren Job, was aber in den meisten Fällen durch Versetzung, Pensionierung oder Ableben – oder, wie wäre es etwas normaler: mit ALG I – zu kompensieren wäre. Ach so, und manche paläo- und viele neonazistische Netzwerke würden aus der staatlichen Förderung fallen, aber das ist vielleicht nicht so schlimm. Es wäre mehr Geld für Organisationen von Menschen, die tatsächlich den Geist des Grundgesetzes mit Leben füllen, darunter insbesondere solche, die bisher vor allem zu Objekten paternalistischer Fürsorge gemacht werden.

(Foto: Digitalcourage)

Dasselbe gilt für die Bundeswehr.

Dasselbe gilt für Frontex.

Schwieriger ist es mit der Polizei. Für viele Menschen ist die Polizei eine der Stellen, die in Fällen von Beleidigung, Bedrohung oder Gewalt tatsächlich Hilfe bedeuten kann. Polizeiliche Anzeigen können eine Hilfestellung für weitere Prozesse sein. Polizei kann die betrunkenen Fans verfeindeter Fußball-Clubs auseinander halten, Näherungsverbote durchsetzen oder bei einem Fahrraddiebstahl behilflich sein, weil die Versicherung «es» sonst nicht glaubt. Polizeiliche Risiko-Analysen können dabei helfen, (potenziell) bedrohte Einrichtungen und Menschen zu schützen. Viele, viele gute Dinge kann Polizei leisten. Und sie leistet viele von ihnen. Und zwar als Monopolistin.

Andererseits bedeutet für viele Menschen der Kontakt zur Polizei eine erneute, eine weitere Traumatisierung. Weil ihnen nicht geglaubt wird, weil die Polizei im Fall einer Anzeige gegen eine_n der ihren mit einer Gegenanzeige reagiert, weil die Polizei – wie auch Kameras im öffentlichen Raum – von manchen, ganz zu Recht – als weitere, als zusätzliche Bedrohung wahrgenommen wird. Das Sicherheitsempfinden mancher Gruppe geht in die Planung von Polizeiarbeit gar nicht erst ein, weil vorausgesetzt wird, dass eine bestimmte «Herkunft» nicht zu einem (gesteigerten) Sicherheitsbedürfnis, sondern zu mehr Bedrohung für die «Normalen» führt. Insbesondere Schwarze Menschen, Sinti_zze und Rom_nja, Muslim_innen und (Süd-) Osteuropäer_innen eignen sich hervorragend für Panikmache in Bezug auf Drogen, «Mafia», «Bandenkriminalität», «Steuerbetrug», «Menschenhandel», «häusliche Gewalt», «Organisierte Kriminalität», «Kindeswohlgefährdung» usw. – eine pauschalisierende Klassifizierung, die viel mit racial und nichts mit Profiling zu tun hat. Oder nur so viel wie die charakterliche Disposition von Menschen mit «ihrem» Sternbild, das sie mit Millionen anderer teilen.

Wir leben in Zeiten, in denen nicht noch mehr «Einzelfälle» hervorgekramt werden müssen, um die personellen Überlappungen von Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und anderer staatlicher Institutionen mit organisierten neonazistischen Spektren «aufzudecken». Ganz zu schweigen von ganz «normalen» rassistischen Äußerungen und Verhaltensweisen, die nichts mit «Nazi» zu tun haben. Wir leben auch in Zeiten, wo nicht weitere politisch und behördenintern Zuständige für diese Institutionen weiter «sensibilisiert» werden müssen. Wer es nach dem Polizei-Mord an Oury Jalloh und dem darauf folgenden Justiz-Schauspiel, nach NSU und NSU 2.0, nach Halle und Hanau nicht «sensibilisiert» ist, wird es nicht mehr werden. Es ist ein komplexes Zusammenwirken von Nutzen, Schaden und einer intrinsischen Un-Entrinnbarkeit, die Polizeibehörden bisher so sein lässt, wie sie es sind. Notwendig und so schädlich wie nur irgendetwas. Beides zugleich.

Ich kann angesichts der gesellschaftlichen Situation heute und hier trotzdem nicht ernsthaft die Abwicklung der Berliner oder irgendeiner anderen Landes-Polizei befürworten, obwohl sie ein zentrales Element des Systems ist, um das es hier geht und das grundsätzlich verändert gehört. Denn anders als in den US-amerikanischen Metropolen mit ihren ausgesprochen großen, horizontal in Solidarität geübten, intersektionalen Bewegungen gibt es in Berlin – und in der Bundesrepublik – bis auf Weiteres gar keine Konzepte für öffentliche Sicherheit, die nicht ausschließlich mit Polizei, Gefängnissen, Überwachung und Bestrafung verbunden wären. Das letzte seriöse Beispiel, an das ich mich in dieser Richtung erinnere, stammt aus den 1990er Jahren (?) und wurde in der PDS entwickelt – und offenbar mit der PDS abgewickelt.

In Halle hat allein eine starke Tür ein Massaker in der voll besetzten Synagoge verhindert. Es wurden «nur» zwei Menschen ermordet, auf der Straße eine, in einem Imbiss ein anderer, da wo gar kein Schutz war – und auch niemals möglich sein wird. Weder mit Polizei noch mit «Antifa», um vermeintliche Gegenpole aufzumachen. Anders als antifaschistisch Organisierte, die vielleicht in der Nacht vorher lange auf einer Party waren oder nach Mitternacht auf VOX noch sechs Folgen «Medical Detectives» gucken wollten, ist es die Polizei, von der ich fordern kann – fordern können will –, dass sie auch bei schlechtem Wetter, wenn im Fernsehen eigentlich etwas Besseres läuft oder Stress in der Partnerschaft zu schlechter Laune führt, die Aufgabe erfüllt, für die sie existiert.

Noch viel lieber wäre mir, wir hätten ein öffentliches Gespräch darüber, was «Sicherheit» für wen bedeutet, wie sie erreicht bzw. wie Sicherheitsempfinden erhöht werden kann, wie unterschiedliche Sicherheitsbedürfnisse, die nicht identisch sein müssen, einander vielleicht sogar widersprechen, «unter einen Hut» gebracht werden können. Denn Polizei, Gefängnisse, Bestrafung, Kameras, Fußfesseln, Waffen (…) werden – allein – nicht helfen, während sie parallel dazu dauerhaft Schaden verursachen. Dieser Widerspruch wird weder durch den hässlichen Fakt verdaubar, dass «All Cops Are Büttel des Systems», noch durch die bedingungslose Bromance mit «Law and Order», die Donald Trump nach der Nachricht zur Auflösung der kommunalen Polizei in Minneapolis per Twitter veröffentlichte.

Die Gesetze und untergesetzlichen Regelungen, gegen die nur «Ausländer» verstoßen können, die zum Teil krassen Fälle von Diskriminierung, Gewalt und Mord, die sich in staatlichem Gewahrsam, vor allem im Zusammenhang mit der Polizei, Gefängnissen, aber auch Ausländerbehörden und anderen Disziplinierungs- und Repressionseinrichtungen ereignen, die unzählbar vielen widerlichen Anmachen, die niemals zu irgendeiner Form von polizeilicher oder gesellschaftlicher Anzeige kommen – vielleicht nicht einmal mehr im familiären oder partnerschaftlichen Kontext erwähnt werden –, die kleinen und großen Regularien, wo niemand «schlechten Willens» sein muss, damit eine schlechte Konsequenz für einzelne, Familien oder ganze Communitys herauskommt – all die systematische (geduldete oder explizit erwünschte) Ungleichbehandlung werden noch viele, viele Jahrzehnte weitergehen. Die Frage, wie wir in einer ganz und gar nicht liberalen Gesellschaft, in der ungefähr alles Mögliche asymmetrisch verteilt ist, damit umgehen wollen, müssen diskutiert werden. In den Fokus gehört dabei auch, wie verschiedene Asymmetrien sich gegenseitig bedingen – als Ausschlüsse oft: verstärken, als Ein-Schlüsse ebenfalls: sich verstärken.

5. Gibt’s schon, kann mehr werden. Oder: Sollte es geben

Programme gegen Neonazismus – und wesentlich darüber hinausgehende Formen von Menschenverachtung, insbesondere auch die, die aus Gesetzen, Behörden, «neutralen» Verfahren, Sachentscheidungen, aus der «Auslese der Besten» in Bewerbungsverfahren usw. resultieren –, sind gut und machbar. Die Bundesrepublik hat die → Antirassismus-Konvention der Vereinten Nationen vor etwa 51 Jahren ratifiziert. Langsam aber sicher könnten den zum Teil sehr lächerlichen Begründungen, warum etwas nicht rassistisch sei – oder anders eben nicht gehe – mal Taten folgen, die den Willen zur Umsetzung erkennen lassen. «Ratifiziert» heißt nämlich: geltendes Bundesrecht.

Die Abwicklung aller Inlandsgeheimdienste (und der Auslandsgeheimdienste und der Militärgeheimdienste) ist gut und machbar.

Tatsächlich nicht «neutrale», sondern explizit parteiische Beschwerdestellen in Polizei, Justiz, Ausländerbehörden, im Bildungsbereich, bei der Arbeitsagentur, in JobCentern und allen anderen größeren Institutionen, so lange sie da sind, sind gut und machbar. Erfahrungen in Staaten, wo das politische System daran nicht zugrunde gegangen ist, liegen vor. Erste Erfahrungen liegen auch in einzelnen deutschen Bundesländern vor. Hier muss es schnell und substanziell vorwärts gehen.

Eine Gesetzesfolgenabschätzung – also die Frage, welche gewollten und nicht gewollten Auswirkungen Rechtsnormen haben – ist gut und auf allen Ebenen der Gesetzgebung möglich. Sie wird seit etwa 20 Jahren in der Abschätzung von Auswirkungen auf Privatpersonen, die Wirtschaft und die Umwelt praktiziert. Laut «Gemeinsamer Geschäftsordnung der Bundesministerien» gehören die Ergebnisse der Folgenabschätzung u.a. in die Begründung von Gesetzen. Das Verfahren ließe sich umstandslos erweitern (Rassismus, Geschlechtergleichstellung, Kinderrechte…).

Alles in allem bräuchte es ein gesellschaftliches Gespräch über ein egalitäres Leben für alle, das die rassistische Sortierung (und immer auch: Hierarchisierung) von Menschen beendet und die Sicherheitsbedürfnisse aller ernst nimmt. Dafür ist eine intersektionale, an Social Justice orientierte Betrachtung unerlässlich. Damit wir bald an einen Punkt kommen, an dem rassistische Polizeigewalt nicht (nur) «in den USA» passiert – und wo Begriffe wie Social Justice nicht aus den USA importiert werden müssen, weil die Wissensproduktion bereits seit Jahrzehnten auch hierzulande stattfindet. Ich habe nichts gegen US-Importe, wenn sie passender, besser, gerechter, verständlicher sind. Wenn sie nur passieren, damit die Wissensproduktion von Schwarzen Menschen und Menschen of Color in Deutschland weiter totgeschwiegen werden kann (insbesondere die von Feminist_innen, die es meistens viel früher und fast immer besser wissen), obwohl sie seit Jahrzehnten im transnationalen Austausch entwickelt, diskutiert, veröffentlicht, modifiziert, in Forderungen gepackt wird, dann bin ich gegen US-Importe.

[Der Text ist zuerst erschienen als Facebook-Notiz. Die Gedanken darin haben einen wesentlichen Ursprung in einem Austausch mit Noa Ha].

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