Koray Yılmaz-Günay (2004): Weiß, aufgeklärt und zivilisiert. In: → Gigi – Zeitschrift für sexuelle Emanzipation # 29, (Januar/Februar), Schwerpunkt «Journalisten als verdeckte Ermittler», Seiten XX–XX.
Durch Angleichung ans Nazivokabular werde dieses «entschärft», sagt Manuela Kay von der Siegessäule in unserer «Peinlichen Befragung». Wer anderer Auffassung ist oder das Wort mit «verharmlost» übersetzt, ist «dogmatisch-stalinistisch». In Kays Augen dürfen nur unmittelbar Betroffene Rassismus verurteilen und haben «ausgesprochen deutsche Menschen» kein «Mandat, sich zum Anwalt einer Gruppe (zu) machen, die sich darüber letztendlich gar nicht aufregt». Das ist nur eine jener vielen nicht eben einen Drang zur Hirnwindung belegenden Phrasen der Siegessäule-Chefredakteurin. Dass es weitaus weniger schlicht geht, zeigt der Essay von Koray Yılmaz-Günay.
Der Autor ist Vorstandsmitglied des Vereins → Gays & Lesbians aus der Türkei Berlin-Brandenburg und Herausgeber von «lubunya», des ersten türkisch-deutschen Magazins für türkeistämmige Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle und Transgender.
Seit einigen Monaten schon betreibt der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) eine schmierige Kampagne, die nun auch außerhalb der institutionalisierten Homo-Politik Früchte zu tragen beginnt. Anlässlich des ersten Kongresses türkeistämmiger Homo-, Bi- und Transsexueller erschien die Berliner Siegessäule mit einem Titelblatt, das die Fahne der Türkischen Republik mit der Zeile «Türken raus!» zierte. Am Kongresswochenende verlautbarte die → tageszeitung, → die «Vormodernen» (Kurden, Türken, Araber etc.) müssten «zivilisiert» werden, also endlich aufhören, die weißen schwulen Männer zu peinigen. Der LSVD warnt regelmäßig vor «niederländischen» Entwicklungen, falls sich die Migrantinnen und Migranten nicht «integrieren» sollten, vulgo: Wenn ihr uns Schwule nicht akzeptiert, müsst ihr euch nicht wundern, wenn alle rechts wählen. Was passiert plötzlich in der Köpfen der Berliner «Bürgerrechtler»?
Waren es zunächst die armen türkeistämmigen Lesben und Schwulen, die der LSVD zu schützen vorgab, arbeitete man rasch im Verbund am eigentlichen Ziel, «den Migranten». Ihnen wird unterstellt, dass sie besonders homophob seien und patriarchalische Familienstrukturen aufwiesen – und das alles aufgrund der ländlichen Herkunft, die ihnen zu eigen sei. Eine astreine «soziologische» Analyse, wie es den Herren scheint, die sich ganz im Kampf um die eigenen Rechte sehen und dafür als Feindbild eine besonders große öffentliche Gefahr benötigen. Ganz verständlich eigentlich, dass in dieser Situation das am nächsten Gelegene schlecht genug ist: der Islam. Den «kennt» mittlerweile jeder.
Wer sind «die Migranten»?
Weder der LSVD noch die tageszeitung (oder andere zuständig sich fühlende Publikationsorgane) sorgen sich darum, dass es Probleme bei der Zuordnung der Menschen geben könnte, die mit diesem Wort gemeint sind. «Migranten» sind hier klein, schwarzhaarig und durchweg islamisch. Mithin kommen weder skandinavische noch afrikanische oder lateinamerikanische Menschen in Frage. Dass dabei die kollektiv unterstellte Religion in keiner Weise erhellt zu werden braucht, veranschaulicht die Intention, mit der hier argumentiert wird. Es geht vor allem darum, dass schuld immer die Anderen sein müssen. Sie müssen sich bewähren, indem sie ihre «Integrationsbereitschaft» zeigen, also von ihrer Homophobie Abstand nehmen.
Hier ist der Punkt, an dem die Diskussion tatsächlich für alle interessant wird, egal ob homo oder nicht. Denn in der Rede über den «Anderen», «Nicht-Integrierten», «Zurückgebliebenen» oder «Vormodernen» offenbart sich eine Menge über das vermeintlich «Eigene». Über die abscheulich homophoben Araber, Türken, Albaner, Kurden, Bosnier, Iraner … lernt der Deutsche eine Menge über sich selbst: Er ist aufgeklärt und zivilisiert, gar nicht oder kaum homophob, sexistisch oder mit anderen lästigen Mitbringseln wie ländlicher Herkunft und religiösem Bekenntnis geplagt. Was Wunder eigentlich, dass der Missionierungswahn so lange hat auf sich warten lassen; der internationale Krieg der Kulturkreise fängt eben immer noch am besten im eigenen Haus an. Wen schert die Frage, ob ein homophober Bayer oder eine homophobe Niedersächsin «integriert» sei? Probleme sind zunächst einmal immer die Probleme der Anderen. Man selbst hingegen ist der Sozialarbeiter – endlich einmal –, der mit (geballter Medienmacht) die Delinquenten belehren darf.
Ich will nicht leugnen, dass unter türkeistämmigen Menschen Homophobie vorhanden ist. Noch wird es ein arabischer Mensch leugnen oder sonst jemand aus einem mehrheitlich islamischen Kulturkreis. Einen schwulen Türken in diese Position zu rücken, ist eine der perfidesten Intentionen, die hier am Werk sind, ganz nach dem Motto «Sag mir, wo du stehst!» Die Frage ist, wem geholfen wird, wenn gewalttätige Übergriffe ethnisiert werden. Wenn in einem Täter aufgrund seiner Haar- oder Hautfarbe zunächst der «Moslem» erkannt wird, drückt sich darin etwas ganz Anderes aus als nur die «Opferperspektive», die man nun einmal so hinnehmen muss.
Die in den inkriminierenden Artikeln immer wieder herangezogenen «Statistiken», die dazu gehörenden Erhebungspraktiken und ihr Nutzwert sind ein ganz anderes Thema. Dass in manchen Teilen Kreuzbergs und Nordschönebergs nun einmal mehrheitlich türkeistämmige und arabische Menschen wohnen, ist ein Fakt. In den bevorzugten Wohngegenden der schwulen Männer werden es nun schwerlich die Unterschichtangehörigen anderer Gegenden sein, die schwulenfeindliche Übergriffe starten. Dass die Statistiken nicht «repräsentativ» seien, äußert selbst das «Schwule Überfalltelefon/Opferhilfe» (MANEO). Aber der wahnhafte Wunsch, alles Übel der Welt möge sich seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert auf den Kampf dreier Weltreligionen reduzieren lassen, ist an solchen Details ohnehin nicht interessiert. Erlaubt ist, was der eigenen Argumentation nutzt. Und die sieht die Schwulen, die nicht mehr händchenhaltend durch die Motzstraße laufen können, in einer Reihe mit den anderen Opfern islamisch-fundamentalistischer Gewalt weltweit.
Die allermeisten «Unterschiede», die hier herbeikonstruiert werden, dienen insofern der Reproduktion von Klischees; Hauptsache man selbst und die Seinen stehen auf der «guten» Seite. Dabei wäre die Suche nach Gemeinsamkeiten das, was langsam einmal auf der Tagesordnung stehen müsste, denn so fern von einander sind die Ursachen homophober oder sexistischer Gewalt sicher nicht von einander entfernt.
Die Probleme der weißen Herren
Es gibt handfeste historische, soziale und ökonomische Voraussetzungen in allen Kulturen, die bestimmte Verhaltens- und Lebensweisen begünstigen bzw. erschweren. Der Kolonialismus, der homosexuellenfeindliche Gesetze in alle Welt exportiert hat, gehört sicher dazu. Aber auch die Weisheit, dass Klassen- und Schichtzugehörigkeit die Sicht auf Dinge entscheidend beeinflussen. Vielleicht sind diese Erkenntnisse an den weißen Herren vorbeigegangen, weil sie dem schwulen Mann das Mitmachen in der Gesellschaft wie sie heute, hier für ihn nun einmal ist, erschweren.
Doch muss die Frage dann lauten, wer mit diesen Leuten sich einen Sandkasten teilen möchte. Verschiedene Organisationen und Institutionen haben die Annahme der Siegessäule im Monat November verweigert oder die Hefte kreativ unwirksam gemacht. Der Verein Gays & Lesbians aus der Türkei (GLADT) hat mittlerweile alle Zusammenarbeit mit dem Lesben- und Schwulenverband und seinem Berliner Zentrum «Migranten, Lesben und Schwule» (MILES) gekündigt. Ganz bewusst hatte der LSVD, neben allen rassistischen Klischees auch Unwahrheiten über den Verein GLADT geäußert, um so den Marktwert der eigenen Arbeit zu erhöhen: Die Gays & Lesbians aus der Türkei hatten nach den Angriffen auf ihren Wagen beim Berliner CSD die Gespräche mit MigrantInnen-Selbstorganisationen forciert und mit Dutzenden Vereinen und Initiativen gesprochen – mit durchschlagendem Erfolg. Unter anderem haben sich alle Gruppen, die sich dieses Jahr im Migrationsrat Berlin-Brandenburg zusammenschließen werden, gegen Sexismus und Homophobie ausgesprochen. Die migrantischen Mitglieder des Berliner Landesbeirats für Integrations- und Migrationsfragen und über 50 weitere Vereine verlangten, dass das Gremium um ein LSBT-Mitglied mit Migrationshintergrund erweitert werde, um die Perspektive von Menschen mit Mehrfachzugehörigkeit einfließen zu lassen. Diese Fakten waren dem LSVD bekannt, als er sich genötigt sah, GLADT vorzuwerfen, der Verein würde nicht genug tun, um «seine» Communitys mit dem Thema Homosexualität bekannt zu machen.
Die Selbstorganisationen von Migrantinnen und Migranten in Berlin, darunter die arabischen und türkeistämmigen, haben also innerhalb weniger Monate große Schritte unternommen, was Homosexualität beziehungsweise Homophobie angeht. Aber was wäre, wenn sie es nicht getan hätten? Wäre dies etwa ein Grund für rassistische Pöbeleien? De facto gibt es schon immer Migration von und nach Deutschland. Immer schon lebten Menschen mit sehr unterschiedlichen Ansichten hier, immer schon gab es unter ihnen sehr unterschiedliche Einstellungen zu Frauenrechten, Homosexualität oder Biogemüse. Wer möchte da sagen, wer «integriert» sei und wer nicht? Antisemitische Stammtische und afrodeutsche Frauenorganisationen werden ganz unterschiedliche Dinge meinen, wenn sie «wir» sagen. «Deutsch» sind sie trotzdem alle.
Dass schwule Männer nun über die vermeintlich muslimischen Migrantinnen und Migranten versuchen, ihr konstruiertes «Volk» zu homogenisieren, birgt viel mehr Gefahren als die Siegessäule, der ich hauptsächlich vorwerfe, die Nationalfahne der Türkischen Republik benutzt zu haben. Das Titelblatt hätte die Situation der türkeistämmigen Lesben und Schwulen sicher besser gespiegelt und wäre umso provokanter gewesen, wenn es die schwarz-rot-goldene Fahne gewesen wäre. Wenn man auf solche Symbolik überhaupt Wert legt.