Koray Yılmaz-Günay
Tugendterror

Warum reden wir überhaupt miteinander?

Kooperationen und ein Dialog zwischen zivilgesellschaftlichen Vertretungen wie zum Beispiel migrantischen Selbstorganisationen und Arbeitgeber*innen sind immer noch keine Selbstverständlichkeit. Zusammen mit dem Migrationsrat Berlin, dem Verein Roma Trial und der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland erprobt und reflektiert BQN Berlin, unter welchen Bedingungen und in welchen Formaten diese Kooperationen möglich sind und für beide Seiten konstruktiv gestaltet werden können. Koray Yılmaz-Günay, Co-Geschäftsführer des Migrationsrats Berlin, stellt in seinem Essay die Perspektive von zivilgesellschaftlichen Organisationen dar.

Die Vielfalt der Stadtgesellschaft spiegelt sich bisher nur wenig in der Verwaltung und bei landeseigenen Betrieben von Berlin wider. Der Öffentliche Dienst ist, je höher es in den Hierarchien geht, monokulturell besetzt. Auch die Arbeit und die Angebote sind oft noch an «Norm-Bürgerinnen» ausgerichtet: Staatsangehörigkeit(en), der Aufenthaltsstatus, erkennbare religiöse Symbole oder Kleidungsstücke, aber auch das bloße Aussehen einer Person entscheiden darüber, ob sie als (potenzieller) Mitarbeiter*in oder als «Zielgruppe» ernst genommen wird.

Das Fehlen einer angemessenen Repräsentation hat zwei Dimensionen: Zum einen ist es elementar ungerecht, dass ein Teil der Berliner Bevölkerung in wichtigen Institutionen des Landes nicht «vorkommt». Diese Lücke lässt sich über die Personalentwicklung, vor allem über Neueinstellungen, sicher schließen. Das Partizipationsgesetz ist eine gute Grundlage dafür. Zum anderen ist aber auch mit einer «diverseren» Belegschaft nicht garantiert, dass sich das Handeln an den Bedürfnissen aller Berlinerinnen orientiert, denn es ist weder ausgemacht noch sinnvoll, dass Sinti*zze, Jüdinnen*Juden, (ehemalige) Geflüchtete, Rom*nja, Schwarze, Muslim*innen oder People of Colour «automatisch» zu «Diversity»-Beauftragten werden. Diese Form der Delegierung entlastet heute schon allzu oft alle anderen von der Verantwortung, eine Verwaltung oder ein Betrieb für alle zu sein.

Viele Menschen mit Migrationsgeschichte und/oder Rassismuserfahrung organisieren sich in Selbstorganisationen, in denen eine kollektive Willensbildung erfolgt. Fast 800.000 volljährige Berliner*innen waren 2021 vom Wahlrecht ausgeschlossen. Hier übernehmen Selbstorganisationen eine unersetzbare Rolle. Wissen und Erfahrungen werden ausgewertet, systematisiert und nach «außen» getragen – in Form von Petitionen und Forderungskatalogen, aber auch in der unmittelbaren Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen. Auch wenn diese selber sagen: «Das Problem existiert
nicht», «Machen wir schon längst» oder «Dafür sind wir gar nicht zuständig».

Die Zusammenarbeit mit BQN stellt für uns die bisher nicht gegebene Gelegenheit dar, Perspektiven von Selbstorganisationen direkt an verantwortliche Personaler*innen zu tragen – und die Dinge auch mal aus der «anderen» Richtung zu betrachten. Der Öffentliche Dienst ist schwerfällig, grundsätzliche Veränderungen dauern noch viel länger als einzelne Einstellungsverfahren, die für Außenstehende langwierig wirken können – oft hängt es nicht am bösen Willen von Einzelnen, sondern an Verfahrensschritten, die außerhalb der Verwaltung nicht sichtbar werden. Staatliche Stellen und Betriebe wähnen sich aber oft auch allzu schnell auf der «richtigen Seite». Sie arbeiten schließlich auf Grundlage des öffentlichen Rechts und auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

Aus der Perspektive von Menschen, die, ganz demokratisch, nicht im Genuss voller Teilhabe sind – weil Teilhabe an Staatsangehörigkeit gebunden ist, weil diskriminierende Routinen einer Organisation oder Einstellungen einzelner Mitarbeiter*innen dem im Weg stehen –, verhält es sich nicht so einfach. Deswegen lohnt es sich aus unserer Perspektive, den öffentlich-rechtlichen Rahmen um eine Dimension zu erweitern: den der Menschenrechte. Die Bundesrepublik hat neben den Bestimmungen des Grundgesetzes und des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zahlreiche Übereinkommen unter dem Dach der UNO und der Europäischen Union ratifiziert, die unter anderem auch vor Diskriminierung schützen und die Verwirklichung von Teilhabe ermöglichen sollen. Mit der Unterzeichnung sind sie zwar unmittelbar geltendes Bundesrecht, werden im Alltag aber kaum beachtet.

Angesichts der fehlenden Repräsentation marginalisierter Gruppen, die den einen als «normal», den anderen aber als altbekanntes Problem erscheint, kommt der Arbeit von BQN eine unschätzbar große Bedeutung zu: Staatliche Verwaltungen und Betriebe kommen mit Organisationen von Menschen mit Migrationsgeschichte, aber auch von Schwarzen Deutschen, Sintizze und Romnja, Jüdinnen*Juden und anderen diskriminierten Gruppen zusammen, um ein Gespräch zu führen, das sonst nicht stattfinden würde – ein Gespräch, das uns alle als Stadtgesellschaft zusammenführt zu Themen, die uns alle betreffen.

Koray Yılmaz-Günay ist Co-Geschäftsführer des Migrationsrats Berlin, einem Zusammenschluss von Organisationen, die von Schwarzen, People of Color und Migrant*innen sowie ihren Nachkommen getragen werden. Der Dachverband ist im Jahr 2004 gegründet worden und umfasst heute fast neunzig Mitgliedsorganisationen, die hier ihre Community-übergreifende Arbeit bündeln. Neben einem regionalen Schwerpunkt (Berlin) fokussiert die inhaltliche Arbeit Bildung, Beratung, Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit, insbesondere zu Migrationspolitik, Rassismuskritik und post-kolonialem und post-nationalsozialistischem Erinnern und Gedenken – und zwar mit den jeweiligen Schnittmengen zu Geschlecht, Alter, Behinderung, Religion, Sexualität und Ost/West.

Dieser Text ist im August 2022 erschienen in:

BQN Berlin e.V. (Hg.) (2022): → Normen (sind un) sichtbar (machen). Berlin, Seiten 24–25.

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